Dakar rast, Saint Louis schläft, Touba betet, Banjul fließt – so nehmen wir die Städte wahr.
Über urbane Landschaften, koloniale Erbschaften, Tier- und Pflanzenwelten und eine Frage, die unbeantwortet bleibt
Es ist Winter in Europa und Trockenzeit in Senegal, die Luftfeuchtigkeit relativ niedrig. Laue Tropennächte laden zum Sitzen in einem Garten ein, die Mücken sind zu müde für konzertierte Attacken. Von Dezember bis Februar finden Besucher aus gemäßigten Zonen das Klima am angenehmsten, mit Temperaturen kaum je über dreißig Grad. Und die Tiere in den Biosphärenreservaten lagern gerne an den Wasserlöchern und haben sich noch nicht wie im Mai und Juni, der großen Hitze vor der Regenzeit, ins schattige Buschwerk zurückgezogen.
Dakar
Dakar, quirlig, jung und lebenslustig, eine weitläufige Metropole an der Atlantikküste, vereint dynamische Entwicklungen mit afrikanischer Lebenskunst. Die Stadt hat tolle Museen, viel zeitgenössische Kunst, Galerien und Festivals und ein reges Nachtleben, wobei die Konzerte um 22 Uhr angekündigt sind um zwei Uhr früh dann tatsächlich beginnen. Wenn morgens die Einen zur Arbeit eilen, fahren die Anderen, die Nachtschwärmer, gerade nach Hause. Es ist die westlichste Stadt des Kontinents, auf der Halbinsel Cap-Vert gelegen, mit Märkten wie dem Marché Kermel (für Touristen) und dem Marché Sandaga (für Einheimische), und einem historischen Kern um den Platz der Unabhängigkeit. Neidisch bewundern wir die Schönheit der schlanken, großgewachsenen Frauen, die, in vielfarbige Gewänder gehüllt, über das Straßenpflaster stöckeln und fühlen uns im strapazierfähigen Touristenoutfit ziemlich unelegant.
Über die kilometerlange Corniche, einen vierspurigen Boulevard mit einem auch nachts nicht abreißenden Verkehrsstrom, erreichen wir das Monument de la Renaissance africaine, hüllen uns bezüglich seiner ästhetischen Qualitäten in Schweigen und kommen einigermaßen ins Schwitzen, als wir die Treppe hinaufkeuchen. Oben raubt uns dann die Aussicht die Luft, der Blick schweift über die Stadt und das Meer, irgendwo steigen Rauchwolken auf, in der Ferne ziehen Schiffe vorüber.
Gesucht: Ein Geschenk
Da wir in der Casamance, dem Landesteil, der südlich von Gambia liegt, einen König besuchen wollen, brauchen wir ein Gastgeschenk. Wir denken an einen Gésnère. Das ist ein Stoff für einen Boubou, das bodenlange, weite Gewand für Männer und Frauen, in denen sie alles Mögliche verstauen können. Wenn die Oberschicht sich für zeremonielle Angelegenheiten neu einkleiden will, dann kann das nur mit einem Gésnère sein, alles andere wäre indiskutabel. Also begeben wir uns in Dakars nobles Geschäftsviertel Plateau, dort finden wir den Gésnère und zwar – Überraschung – im afrikanischen Flagship-Store der Firma Getzner aus dem vorarlbergischen Bludenz. Die Appretur, die dem Material die nötige Steife verleiht, ist Firmengeheimnis. Wir legen zusammen, dass wir die acht Laufmeter Damast für das königliche Gewand bezahlen können. Übrigens gibt es zwei weitere österreichische Produkte in Senegal, die landesweit geschätzt sind, Red Bull und KTM.
Insel Gorée
Den touristischen Hotspot des Landes, um nicht zu sagen Westafrikas, die Insel Gorée, finden wir ein bisschen zu hergerichtet und herausgeputzt mit Blumen und bunten Fassaden. So soll eine Sklavenverladestation ausgesehen haben? In den 1980er Jahren, als ich zum ersten Mal hier war, hat sich die Insel ganz anders präsentiert. Damals war der Ort eher heruntergekommen, und das hat der düsteren Geschichte gut entsprochen. Schnell stellen wir fest, dass die Welt eine andere ist, wenn man von den Hauptdurchzugsstrecken in die Nebengassen und weniger begangenen Wege abbiegt. Es bröckelt der Putz, Decken sind eingestürzt, Balken hängen herunter. Die Ruinen präsentieren sich mit Charme, es haben sich Souvenirhändler und Künstler niedergelassen. In der Stätte des Gedenkens an die Opfer der Sklaverei begegnen wir auch afroamerikanischen Besuchern, die hier nach den Spuren ihrer Vorfahren suchen und deren Leidensgeschichte nachempfinden. Eine Schulklasse erhält von pädagogisch geschultem Personal einen Einblick in die Geschehnisse, den Pubertierenden bleibt das Kichern in der Kehle stecken; still sind sie plötzlich und ergriffen von der Stimmung des Ortes.
Saint Louis
Die meisten Menschen, Einheimische wie Fremde, mögen die alte Hauptstadt Saint Louis, fünf Autostunden von Dakar entfernt. Es ist ruhiger, beschaulicher, das Leben läuft gemächlich wie der Fluss Senegal, der südlich der Stadt in den Atlantik mündet. Wir spazieren durch die Gassen der Altstadt, bewundern die Häuser aus der Kolonialzeit, bedauern ein bisschen, dass viele langsam verfallen und noch auf einen neuen Besitzer und auf ihre Restaurierung warten. Auf der Terrasse unseres Hotels nehmen wir den Sundowner oder vielleicht auch zwei mit Blick auf den Fluss. Damals in den 1920er Jahren war Saint Louis die Hauptstadt von ganz Französisch-Westafrika und außerdem eine Zwischenstation der Aéropostale, Saint-Exupéry war deren Pilot und chauffierte die Post von Toulouse nach Dakar und dann, ab 1927, nach Süd-Amerika.
Im Süden Senegals
Nach zweimaligem Grenzübertritt und der Durchquerung Gambias gelangen wir in eine andere Welt; die Savannenlandschaft mit den riesigen Affenbrotbäumen weicht zusehends den üppigen tropischen Wäldern der Casamance. In deren Hauptstadt Ziguinchor wohnen wir in dem charmanten, weitläufigen Hotel Kadiandoumagne, sitzen abends auf der Terrasse, essen Fisch und blicken auf den Fluss Casamance. Hier in Senegals Süden besuchen wir Sa Majesté Sibiloumbaye Diedhiou, den König von Oussouye. Der Herr über siebzehn Dörfer nimmt seine Verantwortung ernst und erfüllt seine Pflichten. In seinem Reich geht es der Bevölkerung gut, sie stellt nicht die Kandidaten für illegale Auswanderung auf ausrangierten Fischerbooten nach Spanien. Leider ist der König von den vielen Audienzen schon ein wenig erschöpft und scheint sich mit uns zu langweilen, was wir eigentlich verstehen, nicht einmal der knallrote Gésnère, den wir ihm überreichen, beeindruckt ihn. Dafür ist die Königin, eine imposante Persönlichkeit, aufgekratzt und plaudert lebhaft über die Belange des Hofstaats, dessen Würdenträger sich, in ihre Smartphones vertieft, eilig hin und her bewegen.
Banjul/Gambia
Am letzten Tag in Banjul, Gambias Metropole am Fluss Gambia, kaufen manche von uns auf dem Kunsthandwerksmarkt holzgeschnitzte Masken, die gebatikten und gewachsten Stoffe, für die Westafrika berühmt ist, und die ortsüblichen Kreationen von Kühlschrankmagneten, oder fahren nach Brufut Heights hinaus und nehmen auf einer Klippe über dem Meer im schicken Boutique-Hotel eines österreichischen Ehepaars Kaffee mit Kuchen.
Café Touba und Baobabmarmelade
In zwei Wochen haben wir zwei wenig bekannte und – was die Attraktivität für Besucher betrifft – verkannte westafrikanische Länder schätzen gelernt. Deren touristisches Potenzial ist durchaus ausbaufähig. Zu zwei weiteren Staaten haben wir hinübergeschaut, in Saint Louis im Norden nach Mauretanien, in Cap Skirring im Süden nach Guinea-Bissau. Unendlich scheinende Fluss- und Seenlandschaften, gesäumt von Mangroven, entschädigen für unbequeme Fahrten auf Straßen mit vielen Schlaglöchern.
Am Straßenrand haben wir unzählige Café Touba, gesüßt, gewürzt und gepfeffert, getrunken, dazu ein Säckchen Erdnüsse geknabbert, das ersetzt ein Mittagessen, da man auf Überlandfahrten nicht immer ein Restaurant oder Kaffeehaus findet. Zum Frühstück essen wir Baobabmarmelade und Mangrovenhonig auf französischem Weißbrot, zum Abendessen nehmen wir französischen Wein.
Warzenschweine und Flamingos
Zwischen den kulturellen Aktivitäten studieren wir Ökosysteme, wobei Naturerlebnisse nicht zu kurz kommen wie Nationalparkerkundungen in Geländefahrzeugen, Bootsfahrten auf Wasserwegen, Waldspaziergänge, Tierbeobachtungen. Allen möglichen Säugetieren zollen wir fotografisch unsere Referenz, bloß die Löwen verstecken sich, vermutlich fürchten sie sich vor uns. Im Jänner sind im Djoudj-Feuchtgebiet, an einem Mäander des Senegal-Flusses gelegen, die Zugvögel eingetroffen. Als sich im Sonnenaufgang Tausende Flamingos gleichzeitig in die Lüfte erheben, bilden sie zwischen Wasser und Himmel eine sich bewegende Wand in Zartrosa vor dem sich sekündlich wandelnden Licht. Dieses Schauspiel werden wir nicht so schnell wieder vergessen, auch nicht den Duft der Pflanzen im Niokolo-Koba Nationalpark, das Grunzen der Warzenschweine oder das Sine-Saloum-System, in dem Meerwasser und Flusswasser sich in einem Delta vereinen. Ein Fischerboot gleitet mit uns durch die Lagune, entlang von Inseln, Dünen und Sümpfen. In den Mangroven suchen wir nach wilden Austern; in der Stille der Landschaft gelangen wir zur Ruhe.
Die Vielfalt der Fauna im Federkleid beindruckt allerorts im Lande. Viele Fragen haben wir zur Ornithologie. Morgens weckt uns manchmal das Gezwitscher eines früherwachenden Vogels, und schon beginnt der Tag in Hochstimmung. Bloß will niemand wissen, wie dieser Sänger heißt. Unser einheimischer Reiseführer verspricht, wenn wir nächstes Jahr wiederkommen, wird er es erklären.
Wenn das kein Grund ist!