Versuch einer Annäherung an ein relativ unbekanntes Reiseziel
Zum Thema Äthiopien fallen sofort Stichworte wie Höhlenkirchen und Stelen im Hochland von Abessinien ein oder der aktive Vulkan Erta Ale im Nordosten – aber mindestens so schnell folgen die Vorbehalte, ob man in ein Land mit Hungersnot überhaupt reisen könne oder dürfe ...
Wir reisten in einer der schönsten Jahreszeiten für den Süden – im August (auch unser Winter ist eine gute Reisezeit) – von Addis aus durch das Rift Valley in die Stammesgebiete im Binnendelta des Omo-Flusses sowie in zwei landschaftlich reizvolle Nationalparks.
Im Einzugsbereich des Omo lebt eine große Zahl kleiner und kleinster Stämme, ihnen zu begegnen, gleicht einer Reise in die afrikanische Vergangenheit.
Eine lange, sehr schöne Fahrt bringt uns von Addis in den Grabenbruch. Im Norden dauert die Regenzeit bis in den September – überall sehen wir die Bauern auf den Feldern: ohne Ausnahme arbeiten sie noch mit Ochsen und Pflug. Wir fahren durch sattgrünes Hochland mit eindrucksvollen Terrassenfeldern (ca. 2500 – 3000 m hoch) – es gab ausreichend Regen in den letzten Wochen. Schon hier, auf dem Weg ins Rift Valley, wechseln die Stämme kleinräumig, besonders schöne Rundhütten bauen die Silte - mit kräftiger Bemalung innen und außen.
Oberhalb von Arba Minch erheben sich die Guge Mountains, wo die Dorze mitten in den Wolken in riesigen Bambushütten (bis 12 m hoch) leben. Sie bauen falsche Bananen (Enset) an, die fein geschnitten und fermentiert als Grundlage für Fladen hergenommen werden. In einem der Dörfer erleben wir die Verarbeitung bis hin zur fertigen Flade, sie wird mit Honig oder Chili-Sauce angeboten.
Von Arba Minch führt uns eine Bootsfahrt am Chamo See in den Nech Sar Nationalpark: Neben einer eindrucksvollen Vogelwelt - Pelikankolonien, Goliathreiher, Marabus und Schreiseeadlern –begeistern uns zahlreiche Krokodile, manche sind 4-5 m lang.
Ein weiterer Fahrtag Richtung Südwesten bringt uns nach Turmi – wir folgen dem Weyto Fluss zum ausgetrocknetem Stephanie See und erleben die trockene Savanne mit zahlreichen Schirmakazien, die jetzt in voller Blüte stehen. Ziegen- und Schafherden begleiten uns – und langsam gewöhnen wir uns daran, dass viele Hirten mit Kalashnikovs ausgestattet sind. An der Grenze zwischen Erbore und Hamar Stamm überquert man den Rand des Rift Valley – hier sehen wir die ersten Wüstenrosen in voller Blüte, sie changieren zwischen hellrosa und dunkelrosa und geben zwischen den riesigen Euphorbien und massenhaft Aloen ein herrliches Bild.
Turmi ist Ausgangspunkt zur Erkundung der Hamar Dörfer: Die Hamar tragen zwar schon teilweise westliche T-Shirts, leben aber noch immer in ihren Jahrhunderte alten Riten. In einem der Dörfer hat man sich für einen Rindersprung (der Initiationsritus der jungen Männer) vorbereitet und gemeinsam einen Unterstand errichtet. Versorgt mit viel Hirsebier mahlen 5-6 Frauen Hirse auf Steinmühlen, begleitet vom Gesang der anderen Frauen, auf dem Platz wird getanzt. Zum Geburtstag erhielt ich ein besonderes Kompliment von einem Hamar - meine Haare seien so schön wie ein Kuhschweif ...
Nahe von Turmi liegt der große Wochenmarkt von Dimeka, den hauptsächlich Hamar besuchen. Auf dem Weg sind wir schon vielen Hamar begegnet, bis auf T-Shirts noch traditionell bekleidet - die Männer tragen noch ihre schöne Lehmhaube. Der Markt ist sehr ursprünglich, typische Produkte wie die Butter, die das Haar glänzend macht, werden hier gehandelt. Oder Kaffeebohnenschalen zur Teezubereitung. Oder Tabak jeder Sorte als Kautabak oder Schnupftabak, wenig Gemüse - dafür aber Hirse jeder Art. Für die paar Touristen (ca. 30 – 40) werden auch Souvenirs feilgeboten.
Eines der eindrucksvollsten Erlebnisse im Hamar Gebiet ist ein Rindersprung, zu dem die ganze Verwandtschaft kommt (ca. 300 Hamar - dazu ca. 25 Touristen). Es beginnt im Tal, wo die Auspeitschung der weiblichen Verwandtschaft stattfindet. Die Auspeitscher (Maz) sind Männer, die gerade erst den Rindersprung bestanden haben und mit geschminkten Gesichtern erscheinen. Ausgepeitscht wird mit Ruten und so eigenartig es klingt, die Frauen streiten darum, drangenommen zu werden. Sie tanzen und singen sich in Trance, anders wäre es nicht zu beschreiben - sie wollen ihre eigene Stärke zeigen, was sie alles aushalten - sie tragen tiefe blutige Striemen davon. Andererseits wollen sie dem jungen Mann auch für die Arbeit seiner Kindheit und Jugend danken.
Nach langen Tänzen geht es vor dem Sonnenuntergang zum letzten Akt: Auf dem höchsten Platz des Dorfes werden zahlreiche Rinder herangetrieben und 6 - 7 für den Rindersprung ausgewählt. Der junge Mann muss auf die erste Kuh springen und dann über den Rücken der anderen laufen. 3 Mal müsste er, der junge Mann läuft in Extase 6-7 Mal – und gehört nun zur Gruppe der Erwachsenen. Die Hamar haben uns als Zuschauer geduldet, für Touristen war diese Zeremonie definitiv nicht gemacht.
Durch eine sehr trockene Landschaft mit vielen Termitenbauten geht an den Omo Fluss nach Kangaten. Der Omo wird beiderseits für riesige Plantagen genutzt, entlang des Flusses sind gewaltige Baumwollplantagen bei Kangaten - auf der anderen Seite und im Norden werden insgesamt 5 Zuckerfabriken inkl. Zuckerrohrplantagen errichtet. Chinesische Investoren bauen eine Asphaltstraße von Kangaten nach Norden bis Hanna, die durch den ganzen Omo Park läuft.
Hier leben große Gruppen von Elenantilopen, Topi, Elefanten und Büffel.
Auf der Weiterfahrt Richtung Mago-Nationalpark begegnen uns viele bemalte Mursi, die auf dem Weg zu einem Donga Stockkampf sind. Wir bezahlen Eintritt / Fotogeld (ca. 20,-- EUR pro Person) und sind als einzige Touristen mit dabei. Es ist ein heftiges Geschehen; am Nachmittag wurde dem Hirsebier zugesprochen und die Stockschläge sind dadurch noch wilder. Wunden werden mit Sand und Erde versorgt ... Unter den begleitenden Aufmunterungen der anderen schlagen einige Männer ohne Schutz aufeinander ein - die meisten haben kompliziert angelegte Arm- und Schienbeinschoner aus Leder, sie sehen aus wie Außerirdische ...
Ein besonderer Höhepunkt im Süden ist der Besuch eines Konso-Dorfes, das zum UNESCO-Welterbe zählt: Von gewaltigen Mauern und fruchtbaren Terrassen umgeben zieht es sich auf die Hügelspitze hinauf – innerhalb der Mauern begrenzen Holzzäune die einzelnen Gehöfte. Die Mauern sind aus massivem Basalt aufgebaut und von gewaltigen Basaltsäulen gestützt, die aus einem Steinbruch in der Nähe herangebracht wurden. Wunderschön ist das Dorf angelegt, mit großen Männerhäusern und Generationenpfählen – beim Besuch von einzelnen Gehöften bekommt man auch einen guten Eindruck vom Lebensrhythmus.
Durch eines der besten Kaffeeanbaugebiete bei Yirgacheffe (der Kaffee wird mit einer Weihrauchschale serviert!!!) reisen wir nordwärts zum Rift Valley. Zunächst geht es durch viele fruchtbare Felder, die gerade abgeerntet werden - besonders eindrucksvoll ist das Dreschen des Teff Getreides, Teff ist das älteste Getreide der Welt. Inmitten des Kaffeegebiets von Yirgalem liegt eine der schönsten Lodges im Süden (neben der Kanta Lodge in Konso, der Eco Omo Lodge in Jinka oder der Sabana Lodge in Langano). Auf dem großen Gelände leben Geier, Meerkatzen und schwarz weiße Kolobus-Affen. Mehr als 2000 Kaffeebäume und ein biologisch geführter Gemüsegarten machen die Lodge in diesen Punkten autark.
Ein besonderes Erlebnis im Rift Valley ist der Besuch des Fischereihafens von Awassa, wo hunderte Marabus zwischen den Besuchern und Booten hin und her spazieren - ohne irgendwelche Scheu.
Etwas nördlich zweigt die gute asphaltierte Straße in die Bale Berge ab - durch fruchtbarstes Gebiet geht es auf mehr als 3000 m hohe Pässe, wo noch Gerste gedeiht. Ein Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes ist die Auffahrt zum 3800 m hohen Sanetti Plateau. Durch Blumenwiesen voller Fackellilien - unvorstellbar schön - und riesige Wacholderwälder erreichen wir die Baumgrenze und fahren über steinige Flächen voller Heidekraut und gewaltigen Riesenlobelien in eine afro-alpine Berglandschaft. Die Straße windet sich zum zweithöchsten Berg Äthiopiens – dem Tullu Dimtu mit 4377 m - empor! Neben der Sanetti-Region gehört aber auch Dinsho zu den Kernzonen des Nationalparks, wo man von der Lodge durch einen wunderschönen Wald und dann durch etwas feuchten Untergrund herunterwandern kann. Mitten in den Fackellilien stehen zahlreiche endemische Mountain Nyala und Menelik Buschböcke – wir kommen ihnen ganz nahe - ein besonderes Erlebnis!
Auf dem Rückweg nach Addis Abeba besuchen wir den Hafen von Ziway mit zahlreichen heiligen Ibissen, rosa Pelikanen und Marabus. Wir machen auch einen Abstecher zur Castel Winery, Franzosen produzieren hier seit wenigen Jahren erstklassigen Wein.
Ein Anliegen ist mir der Besuch der katholischen Kirche von Meki: Die Caritas Feldkirch unterstützt hier die Bevölkerung mit mehreren Projekten. Der Sekretär der katholischen Kirche, Solomon Bogale, erzählt uns vom „grünen Hunger“: Letztes Jahr fiel die Ernte großteils aus. Im Oktober erst ist der Mais bereit zum Ernten, im November das Getreide. Bis dahin sind alleine hier, obwohl die Felder so gute Frucht tragen, 270.000 Menschen auf Hilfe angewiesen. Die Speicher sind seit langem leer, die Caritas sorgt für Verpflegung und Saatgut.
Nach 2 Wochen kehren wir zu den Wolkenkratzern von Addis zurück – mit unzähligen Bildern im Kopf und in der Kamera. Voller Begeisterung für die Vielfalt, die wir erleben durften – Hochland, Rift Valley, Savannen und Hochgebirgslandschaften, aber auch unterschiedlichste Völker mit ihren Sprachen und Traditionen. Ein Dank gebührt unserem Reiseleiter, Fredy Hess, der egal wo wir waren, einen hoch-interessanten, immer behutsamen und respektvollen achtvollen Weg zu den einzelnen Völkern und Stämmen gefunden hat.