Der „Regenwald der Österreicher“ liegt ca. 300km südlich der Hauptstadt San José in der Provinz Puntarenas nahe der kleinen Hafenstadt Golfito. Der Esquinas-Regenwald ist ein immergrüner nasser Tieflandregenwald, der auf einem hügeligen Landschaftsabschnitt wächst. (…) Der Nationalpark hat eine Gesamtfläche von 140 km². (…)
Wie in den meisten Regenwäldern wird auch im Esquinas-Regenwald zwischen verschiedenen „Stockwerken“ grob unterschieden: Übersteher, obere Kronenschicht, untere Kronenschicht, Unterwuchs und Bodenwuchs. Diese Gliederung verwischt aber durch den Verlauf des Wachstumszyklus und ist daher oft nicht leicht erkennbar.
Übersteher (Emergenten) erreichen eine Höhe von etwa 50m und stellen die allgemein bekannten „Urwaldriesen“ dar. Diese Bäume stehen überwiegend vereinzelt und überragen die darunterliegende, geschlossene Kronenschicht zum Teil beträchtlich. Bäume der oberen Kronenschicht werden etwa 30-40 Meter hoch, stehen enger beieinander und formen ein geschlossenes Kronendach. Diese Schichten sind vielfach starkem Winddruck ausgesetzt. Die Ausbildung von Brettwurzeln, welche eine größere Stabilität bieten, ist gerade bei den diese Stockwerke dominierenden Gehölzen vermehrt zu beobachten.
Zwanzig bis dreißig Meter hoch werden die Bäume der unteren Kronenschicht. Pflanzen dieser Etage besitzen normalerweise keine ausgeprägten Brettwurzeln und sind meistens mit größeren Blättern als die Bäume der oberen Lagen ausgestattet. Hier stehen auch Jungbäume der höheren Schichten in „Warteposition“ sowie viele kleinwüchsige Arten, die allesamt eine klare Unterscheidung der Stockwerke erschweren.
Der Unterwuchs setzt sich aus Palmen, krautigen, großblättrigen Aronstabgewächse (Araceae), Pfeilwurzgewächsen (Marantaceae) und Ingwergewächsen (Zingiberaceae) sowie Zwergbäumchen zusammen. Der Bodenbewuchs ist aufgrund des permanenten Lichtmangels – weniger als 10% des Sonnenlichtes erreicht den Boden – nur schwachausgebildet. Hier können lediglich solche Pflanzen wachsen, die sich in ihrer Ernährungsstrategie, z.B. durch den Abbau von totem, organischem Material (Saprophyten) an die Situation angepasst haben, oder die als Keimlinge und Jungpflanzen von ihren Reserven zehren.
Über dem geschlossenen Kronendach herrscht ein Mikroklima, das tagsüber von höheren Windgeschwindigkeiten und Lufttemperaturen (über 30 Grad Celsius) sowie niedrigere Luftfeuchtigkeit geprägt ist. Im Waldesinneren sind durchwegs gleichmäßige Verhältnisse, konstante Lufttemperaturen (etwa 26 Grad Celsius) bei hoher Luftfeuchtigkeit (meist 80%), zu messen.
Unterhalb der oberen Kronenschicht, wo das Milieu sehr feucht und relativ kühl ist, wachsen viele Pflanzenarten, deren Blätter auffällige Träufelspitzen bilden. Damit wird ein rasches Ablaufen des Niederschlagswassers ermöglicht. Das Wachstum von Algen, Flechten und Moosen (Epiphyllen) auf den Blattflächen wird dadurch vermindert. (…)
Lianen (Windepflanzen) prägen ebenso wie Epiphyten (Aufsitzerpflanzen) das Gesamtbild des Waldes. Vor allem die für niederschlagsreiche, neotropische Regenwälder typischen Bromeliengewächse sind besonders auffällig. Stammkletterer und Epiphyten sind fast immer deutlich zoniert, worin sich eine gewisse Spezialisierung auf bestimmte Waldmikroklimata ausdrückt.
Während untere Stammbereiche nur sehr spärlich vor allem von schattentoleranten Farnen (Pteridophyta) und Aronstabgewächsen (Araceae) besiedelt werden, ist der obere Bereich hauptsächlich mit Bromeliengewächsen (Tillandsia, Vriesea, Werauhia), Aronstabgewächsen (Philodendron, Anthurium) und verschiedenen Orchideen (Orchidaceae) besetzt. Der Kronenbereich wird vorwiegend von Orchideen und Gesneriengewächsen (Gesneriaceae) bewachsen. Pflanzen dieser Schicht besitzen häufig sukkulente (wasserspeichernde) Blätter.
Das Geländerelief des Esquinas-Regenwaldes ist durchwegs sehr steil. Bei Hangrutschungen (natürliche Erosion), durch Winddruck, aber auch wenn wolkenbruchartige Niederschläge die Wurzeln unterspülen, fallen immer wieder einzelne Bäume oder ganze Baumgruppen um. Dadurch entstehen große Lichtungen, sogenannte „gaps“. In diesen Lichtungen stellen sich je nach Ausmaß klimatische Bedingungen ein, die jenen der oberen Kronenschicht ähneln. (…)
Je nach Größe der Lichtung keimen „Pionierpflanzen“ auf großen Freiflächen oder „Klimaxarten“ in kleinen Bestandslücken. Jungpflanzen, die ohne nennenswertes Wachstum jahrelang im Schatten ausgeharrt haben, erhalten hier die Chance, möglichst rasch nach oben zu streben.
Peter Sehnal
Dieser Beitrag von Peter Sehnal stammt aus dem Buch „Der Regenwald der Österreicher in Costa Rica“ (1996), herausgegeben für die gleichnamige Ausstellung im NHM. Wir danken dem Autor und dem NHM für die Abdruckerlaubnis.