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GHANA: IM REICH DER ASCHANTI

IN DEM WESTAFRIKANISCHEN LAND TRIFFT DUNKLE KOLONIALGESCHICHTE AUF LEBENSFROHE GEGENWART.

 
Ghana(C)DrGerhardOberzill.jpg
 

Der „goldene“ Mann auf dem hohen Sockel überragt das riesige Verkehrsrund unübersehbar. Im langen Mantel, mit einer schweren Kette um den Hals, bietet sein massiger Körper eine imposante Erscheinung. Unablässig wird die Statue des vor zwei Jahrzehnten verstorbenen 15. Asantehene, also eines Aschanti-Königs, von einer endlosen Blechschlange umkreist: Von Kumasis chaotischem Autoverkehr bleibt auch die Majestät Otumfuo Opoku WarreII nicht verschont. Auf einer anderen stark frequentierten Kreuzung in Ghanas zweitgrößter Stadt streckt ein Mann im Lendenschurz einen Schemel in die Höhe. Es ist der Priester Anokye, der einst vor seinen staunenden Landsleuten einen Goldenen Stuhl vom Himmel holte. Dieser Fetisch symbolisiert das Königreich und die Einheit der Aschanti-Nation. In ihm sei die Seele des Volkes eingeschlossen, heißt es, und auch die Aschanti-Flagge zeigt dieses Sitzmöbel. Der Goldene Stuhl ist gewissermaßen die Reichsinsignie von Asanteman, wie das Aschanti-Land dort heißt. Dieses Königreich, weit größer als der heutige Staat Ghana, entstand im 17. Jahrhundert durch Bündnisse und Eroberungen. Ein schwunghafter Handel mit Gold und – ja, auch – Sklaven verschaffte dem Land eine wirtschaftliche Blüte. Bis die Briten kamen, denen die Aschanti zunächst heftigen Widerstand leisteten, zuletzt aber doch unterlagen: Die Gold Coast wurde Kolonie.
Statt des Goldenen Stuhls zur Legitimierung erhielten die Eroberer jedoch bloß eine Replik.
Das historische Aschanti-Reich existiert seit anderthalb Jahrhunderten nicht mehr, das Königtum aber überlebte. Zwar macht das Siedlungsgebiet der Ethnie, die heutige Region Aschanti, nur ein Zehntel des modernen Ghana aus. Osei Tutu II. jedoch, der derzeit „regierende“ 16. Asantehene, wird von seinem Volk weiterhin als Autorität anerkannt. Beim alle sechs Wochen in Kumasi stattfindenden bunten Akwasidae-Fest huldigen seine „Untertanen“ ihm und dem dann im Manhyia-Palast zur Schau gestellten Goldenen Stuhl singend und tanzend.

Den Weg von Kumasi an die „Goldküste“ säumen Kakao- und Palmölplantagen, in denen sich Einheimische beim Verarbeiten der Früchte über die Schulter schauen lassen. Und im anschließenden Kakum-Nationalpark können Abenteuerlustige auf einem schwindelerregenden Canopy Walk testen, ob sie beim Balancieren auf den schwankenden Brücken zwischen den Regenwaldwipfeln in luftiger Höh’ seekrank werden oder nicht.

Bei Fort Elmina, der ältesten der berüchtigten Sklavenburgen, ist das Meer erreicht. Als Kastell St. Georg (Castelo de São Jorge) von Portugiesen Ende des 15. Jahrhundert als erster einer Reihe von Stützpunkten gegründet, diente es zunächst „normalem“ Handel.

Aber als die Plantagenwirtschaft in der neu entdeckten Welt jenseits des Atlantiks nach Arbeitskräften verlangte, wurden die Depots in Verließe verwandelt. Von europäischen Sklavenjägern geraubt, aber meist von ihren eigenen schwarzen Häuptlingen verkauft, ­lagerte nun Menschenfracht in den Gewölben, bis sie unter grauenvollen Bedingungen in die Karibik und nach Festlandamerika verschifft wurde. Die Touristenführer im Fort ­Elmina oder auch im nahen Cape Coast Castle machen sich den „Spaß“, Besucher bloß für ein paar Augenblicke in eine der finsteren Zellen zu sperren, um zu verdeutlichen, wie die Gefangenen sich gefühlt haben müssen. Geradezu berührend aber ist es mitzuerleben, wie afroamerikanische Touristen in diesen Sklavenburgen zum Gedenken an ihre vor Jahrhunderten verschleppten Vorfahren Blumengestecke niederlegen.

Dem Kerker entronnen, lässt sich das lebhafte Treiben in Freiheit umso mehr genießen: bunte Fischerboote laufen aus und ein, im Hafen selbst liegen Kutter mit schwatzenden, rauchenden, ihre Netze flickenden Männern. Am Kai gleich daneben breiten Frauen auf Holztellern den frischen Fang aus, den kritische Kundinnen gewissenhaft prüfen. Wo keine Mole existiert, also an Ghanas weiten Sandstränden, die noch der touristischen Entdeckung harren, wird durch den hohen Wellengang das Anlanden und Ablegen der fragilen Kähne zum riskanten Manöver, das den Fischern ihr ganzes Geschick abverlangt. Auch Jamestown besitzt ein Fort mit einem pittoresken Fischerhafen, dazu einen Leuchtturm, der ein weites Panorama bietet. Zu diesem eher ärmlichen Vorort Accras kontrastiert im Zentrum der Hauptstadt das pompöse Mausoleum des Kwame Nkrumah, des „Vaters der Nation“, der Ghana einst in die Unabhängigkeit führte.

Dass aber auch Normalsterbliche eine „schöne Leich’“ schätzen, lehrt der Besuch bei einem Sargtischler, der gar seltsame Totentruhen zimmert: In einem Auto, einem Haus, einem Schiff wollen seine Kunden bestattet werden. Und in einer Kamera, einem Bündel Dollarnoten oder gar in einem überdimensionalen Handy. Da bleibt bloß zu wünschen: Ruhe sanft im Mobilphon!

Dr. Gerhard Oberzill

 
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