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JEMEN

 
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Die legendäre "Weihrauchstraße" bescherte dem antiken Südarabien Wohlstand und Reichtum. Es wurde deshalb von den alten Griechen und Römern "Arabia Felix" genannt. Dieses Flair von "1001 Nacht" haftet dem heutigen Jemen immer noch an und man begegnet in dem lange isoliert gewesenem Land traditionellen und eigenständigen Lebens- und Bauformen, alter arabischer Kultur im besten Sinn, sowie faszinierend vielfältigen Landschaften.

Seit der Vereinigung des - bis 1962 hermetisch abgeschlossenen, fundamentalistischen Königreichs - Nordjemen und des - nicht minder isolierten, marxistischen und nach dem weltweiten Zusammenbruch des Kommunismus bankrotten - Südjemen im Mai 1990 hat das in der Antike "glückliche" Land mit vielerlei Problemen zu kämpfen bei seinem Bestreben, Anschluss an die moderne Welt zu finden. Da der Jemen nur über geringe Erdölvorkommen verfügt, ging der Großteil der Jemeniten als Gastarbeiter nach Saudiarabien, wodurch eine Menge Geld ins Land floss. Als aber der Jemen im Golfkrieg nicht eindeutig Stellung gegen den Irak bezog und sich UN-Resolutionen im Weltsicherheitsrat enthielt, verwies Saudiarabien seine jemenitischen Gastarbeiter des Landes und somit versiegte eine wichtige Geldquelle für den Jemen, der jetzt noch zusätzlich ein Heer arbeitsloser Männer versorgen sollte. Im Mai 1994 erschütterte zudem ein Bürgerkrieg den jungen Staat. Seit August 1994 herrscht - abgesehen von einigen Stammesfehden - Ruhe.

Behutsam öffnet sich nun das Land, versucht aber bewusst, fremde Einflüsse unter Kontrolle zu halten, vor allem solche aus den USA, und sich seine eigenständige Kultur weitgehend zu bewahren. Und genau diese jahrtausendealte Kultur - sowie seine landschaftliche Schönheit - macht den Jemen so attraktiv für Reisende.

In der Hauptstadt Sana'a - die 2.200 Meter hoch liegt - angekommen, fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt. Die engen Gassen sind gesäumt von steinernen Hochhäusern mit reich verzierten Fenstern, tief verschleierte Frauen, freundliche Kinder und stolze Männer mit dem typischen Krummdolch, der "Djambija", im Gürtel, bevölkern die Altstadt. Die Djambija macht den Jemeniten erst zum Mann: Solange er die Djambija trage, sei er ein freier Mann, sie abzugeben hieße, sich zu unterwerfen, erfahren wir von Hassan, unserem jemenitischen Führer. Er gehört der religiösen Oberschicht der "Sa'da" an, die heute einen Teil der akademischen Elite des Landes stellt, hat in Kairo studiert, und präsentiert sich im Verlauf unserer Reise abwechselnd traditionell gekleidet im weißen Hemdkleid der "Sa'da" und mit Djambija an der Hüfte oder westlichem Outfit mit langer Hose, Hemd - und ohne Dolch.

Die Altstadt von Sana'a, der "stark Befestigten", umgibt eine mächtige Mauer. Durch das "Bab al-Jemen", das um 1870 von den Türken umgebaute Stadttor, stürzt man sich am besten in das bunte Treiben des Suk, eines der markantesten Märkte im gesamten Orient. Dort kann man sich mit der Menge treiben lassen. Das endlose Gewirr von rund 1700 kleinen Läden bietet auf engstem Raum Gemüse, Obst, Datteln, Rosinen, Gewürze und Süßigkeiten. Man findet aber auch Spezialmärkte der Schreiner, Töpfer, Kupfer- und Silberschmiede.

Das einst blühende Silberhandwerk geriet nach der Abwanderung der jemenitischen Juden nach Israel, die diese Fertigkeit am weitesten entwickelt hatten, immer mehr ins Hintertreffen. Außerdem ist Silber bei den jemenitischen Frauen "out", das Vermögen wird heute vorzugsweise in Gold angelegt. Bei einem Teil des angebotenen Silberschmucks handelt es sich um billige Importware aus Syrien oder Indien. Die alten Verbindungen spielen auch heute noch eine wichtige Rolle. Einst segelten die Südaraber mit den Monsunwinden nach Indien, um Gewürze, Stoffe, Gold, Edelsteine, Ambra und Moschus einzukaufen. Weihrauch und Myrrhe besorgten sie in Somalia und im östlichen Jemen. Die bei Ägyptern, Babyloniern, Römern etc. begehrten Güter wurden dann auf der Weihrauchstraße vom Arabischen zum Mittelmeer befördert. Die Kamelkarawanen benötigten für diese Strecke etwa 60 bis 70 Tage. Entlang des Weges entstanden große Reiche wie Saba, Himyar, Qataban, Qarnawu, Ma'in, Hadramaut, deren Niedergang mit der Zeitenwende einsetzte. Auch heute kommen noch viele Gewürze aus Indien und Indien-Kenner werden im Jemen, vor allem im Wadi Hadramaut, Parallelen in der Lebensweise und Kleidung der Menschen erkennen können. (Aus dem Wadi Hadramaut wanderten im 19. Jahrhundert auch viele Jemeniten nach Malaysien und Indonesien aus, deren zurückkehrende Nachkommen auch Einflüsse von dort mitbrachten.)

Der Weg von Sana'a ins rund 500 Kilometer östlich gelegene Wadi Hadramaut gestaltet sich abenteuerlich. Bald nach Sana'a verlässt man das Hochplateau, in Serpentinen geht es 800 Meter hinab in die Wüste Ramlat as Sabatain ("Sand der zwei Sabas"), vorbei an Sanddünen und schwarzen Lavaflächen nach Marib, einst Hauptstadt des sabäischen und später des himjaritischen Reiches, berühmt für seinen aus dem 6. Jh. v. Chr. stammenden Staudamm, der als eines der Weltwunder der Antike galt. Heute sind nur mehr das Süd- und Nordende mit Schleusen erhalten sowie Teile verschiedener Tempel, die immer mehr im Wüstensand versanken und erst seit neuestem wieder freigelegt werden.

Spätestens in Marib empfiehlt es sich, sich einem Beduinen-Führer anzuvertrauen, wenn man die Rub-al-Khali ("Leeres Viertel", Teil der Arabischen Wüste) durchqueren will. Nicht nur zwecks der Orientierung, sondern auch, weil Beduinenstämme gelegentlich Touristen zu entführen pflegen. Sie wollen damit von der Regierung nicht eingelöste Versprechen wie den Bau von Schulen oder Straßen oder bessere Wasserversorgung einfordern. Die entführten Touristen - in der Regel nur solche, die auf eigene Faust Beduinengebiete abseits der Straße durchqueren wollten (etwa auf dem Motorrad) - werden übrigens mit ausgesuchter Gastfreundschaft behandelt, oft auch beschenkt. Gerüchteweise sollen Deutsche besonders bevorzugt gekidnappt werden, weil diese Lösegeldforderungen prompt zahlen würden, erzählt Hassan augenzwinkernd.

Der Beduine von heute kommt nicht am Kamel geritten, sondern fährt den neuesten, speziell für die Sandwüste ausgestatteten Toyota Landcruiser, mit dem er uns voran in atemberaubender Geschwindigkeit durch die brettebene Wüste prescht. Wir stehen somit als seine Gäste unter seinem Schutz und sind daher für andere Beduinenstämme tabu. Eingehüllt in eine Sandwolke, die durch alle Ritzen des Wagens eindringt, geht es nun ca. fünf Stunden lang ohne besondere Vorfälle - wie durch ein Wunder auch ohne Autopanne dank der Geschicklichkeit unseres wüstenerprobten Fahrers - durch das "Leere Viertel", das landschaftlich durchaus reizvoll ist, vor allem als wir uns dem Wadi Hadramaut nähern.

Nach einer Weile, inzwischen wieder auf asphaltierter Straße, erhebt sich das "Manhattan der Wüste" aus der Ebene: die Stadt Shibam mit ihren rund 500 dreißig Meter hohen, sechs- bis achtstöckigen Wohntürmen aus Lehm, die teilweise bis zu 300 Jahre alt sind. Zu deren Pflege gehört das regelmäßige Weißen des oberen Wohnbereichs mit Kalkfarbe, die gegen den seltenen Regen schützt und den Zerfall der luftgetrockneten Lehmziegel durch Sonne und Wind verzögert. Nach dem fantastischen Sonnenuntergang in Shibam fahren wir zum Hotel in die Stadt Seyun, wo wir uns endlich unter der langersehnten Dusche unserer "Sandpanier" entledigen können.

Das tief eingeschnittene Tal des Hadramauts ist eines der wenigen landwirtschaftlich nutzbaren Gebiete im Südosten Jemens. Es werden Dattelpalmen, Hirse, Weizen, Mais, Sesam, Tabak und Gemüse angebaut. Auf den Feldern arbeiten die Frauen mit den charakteristischen hohen Strohhüten. Wegen ihrer originellen Kopfbedeckung sind sie beliebte Fotomotive, und obwohl sie unter ihrem Hut zur Gänze schwarz verhüllt sind, auch das Gesicht ist durch einen mäßig transparenten schwarzen Schleier verdeckt, mögen sie es gar nicht, wenn man sie fotographiert und es kann gelegentlich schon einmal ein Stein geflogen kommen ... Seit 1982 ist das Wadi Hadramaut durch eine Teestraße mit der Küste am Golf von Aden verbunden. Sie führt über die trostlose, öde Hochfläche des "Djol" in die malerische Hafenstadt Mukalla, die Hauptstadt der Provinz Hadramaut. Die außergewöhnliche Küste mit erloschenen schwarzen Vulkankegeln, zwischen denen sich goldgelber Sand angesammelt hat, entlang Richtung Westen fahrend erreicht man den feinen weißen Sandstrand von Bir Ali mit dem wuchtigen Felsen Husn al-Rhurab ("Krähenfestung"), auf dessen Plateau die Reste des antiken Qana, des Haupthafens von Hadramaut, entdeckt wurden. Weiter geht es in ein idyllisches Tal, vorbei an dem schön gelegenen Ort Habban, wo früher die jüdischen Silberschmiede ansässig waren. Unsere nächste Station ist Aden, die ehemalige Hauptstadt des Südjemen, wo sich das Flair der ehemals britischen Kolonie teilweise erhalten hat. Richtung Norden fahrend kommen wir in die auf 1350 Metern gelegene Stadt Ta'iz, in die drittgrößte des Landes, die wegen der klimatisch günstigen Lage als heimliche Hauptstadt des Jemens bezeichnet wird. Neben der Aschrafiya-Moschee aus dem 13./14. Jh. mit ihren feinen Stuckornamenten und Deckengemälden sowie dem Suk ist hier vor allem der farbenprächtige Sonntagsmarkt im nahen Wadi Dhabab besuchenswert. Angeboten werden Obst, Gemüse, Kaffee, Gewürze, ein sehr schmackhafter Käse sowie Kamele, Rinder und Schafe. Auffallend sind die unverschleierten, in bunt bestickte Gewänder gekleideten Frauen, die am Marktgeschehen teilnehmen. Durch verhältnismäßig grünes Bergland mit schönen Panoramen gelangt man in die besonders malerische Stadt Dschibla, wo Anfang des 12. Jh. Königin Arwa aus der Sulaihi-Dynastie regierte. In der Arwa bint Admad-Moschee befindet sich ihr Grab. Nach diesem Vorgeschmack auf den Berg-Jemen führt uns noch ein (langer) Abstecher in die Tihama, die feuchtheiße Tiefebene am Roten Meer. Der afrikanische Einfluss ist in der Erscheinung der Menschen und den palmwedelgedeckten, kralförmig angeordneten Rundhütten sichtbar. Von Mocha, im Altertum wichtiger Umschlagplatz für den Ostindienhandel und im 17. und 18. Jh.

wichtigste Hafenstadt des Jemen für den Kaffeehandel, blieb nur der klangvolle Namen. Heute ist es ein kleiner, unscheinbarer Küstenort ohne besondere Attraktionen. Etwas weiter nördlich hingegen bietet Zabid, wo 819 eine islamische Universität gegründet wurde und sich damals das führende islamische Wissenschaftszentrum befand, ein an kunstvollen Stuckarbeiten reiches Stadtbild mit prächtigen geometrischen Fassadenornamenten, die aus vorspringenden Ziegelschichten gebildet sind. Schließlich wenden wir uns dem kühlen Hochland zu, das von Hudäida über eine kurvenreiche Straße durch eine der schönsten Landschaften des Jemen zu erreichen ist. Unser Ziel ist der auf 2250 Meter Höhe im Dschebel Harraz – das der Entdeckungsreisende Hans Helfritz 1933 "Dach Arabiens" nannte – gelegene Ort Manacha. Wie Adlerhorste thronen Manacha, Hadjara, Kahel oder Hotäb auf felsigen Bergspitzen. Jeder Zentimeter Erde, und sei der Hang auch noch so steil, wird landwirtschaftlich genützt. Mit hochentwickelter Wasserbautechnik bewässern die Bauern ihre spektakulär angelegten Terrassenfelder. Wehrhafte, vor Feinden schützende Wohntürme - aus Stein ohne Mörtel gebaut - prägen hier die Dörfer, die festungsartig oft noch von einer Mauer umgeben und nur durch ein Tor zugänglich sind. Diese Gegend eignet sich auch besonders gut zum Wandern - am besten im November und März/April, wie überhaupt das Winterhalbjahr die ideale Reisezeit für den gesamten Jemen ist. Längere Wanderungen sollte man aber nur sehr gut ausgerüstet und vorinformiert unternehmen, da es so gut wie keine Infrastruktur gibt und Wegstrecken bei den Einheimischen erfragt werden müssen, die bisher kein Verständnis für unseren Sport, nur zum Spaß über die Berge zu gehen, entwickeln konnten. Zwei- bis dreistündige Touren lassen sich von Manacha aus mit einem jemenitischen Führer leicht durchführen. Die ganze Reise über waren wir bereits mit den "dicken Backen" der jemenitschen Männer konfrontiert, einschließlich unseres Fahrers und Hassan. Hier endlich wächst es, das Qat, ohne dem von Mittag an im Jemen nichts geht. Jeder kaut die zarten Triebe des Catha-edulis-Strauchs, die in einer Backe gesammelt über die Mundschleimhäute ihre leicht narkotisierende Wirkung entwickeln, die durch gleichzeitiges Wassertrinken oder Rauchen von Zigaretten oder Wasserpfeifen verstärkt wird. Es wirkt gegen Hunger und Müdigkeit und fördert soziale Kontakte, denn bei den frühnachmittäglichen Qat-Runden tauschen die Männer persönliche Erfahrungen und Informationen aus. Zum täglichen Ritual gehörte also der obligate Stopp zwischen 11 und 15 Uhr bei speziellen Qat-Märkten, wo das am Morgen frisch geschnittene Qat aus den Bergen - der Strauch gedeiht nur oberhalb von 1000 Metern - gebracht wird und am gleichen Nachmittag konsumiert werden muss. Hartnäckig wird um Qualität und Preis gefeilscht, immerhin gibt der Durchschnittsmann im Jemen etwa ein Drittel bis zur Hälfte seines Monatseinkommens aus (immerhin kassiert der Staat Steuern beim Qat-Verkauf).

Die Frauen halten ihre Qat-Runden übrigens zu Hause ab. Ein lohnenswertes Ziel etwas westlich von Sana'a sind die drei malerischen Steinbaustädte Kaukaban, Shibam und Thula, wo das geschlossenste Siedlungsbild aus Stein erhalten ist. Kaukaban liegt auf einem Felsplateau, von dem ein nicht schwierig zu begehender Weg durch eine Schlucht 350 Meter hinunter nach Shibam führt, besonders bei Sonnenaufgang ein Erlebnis. Nur 15 Kilometer nordwestlich von Sana'a liegt das malerische Wadi Dar mit der auf einem Felsen thronenden Sommerresidenz Imam Yachas (1904-48), die eine reich gestaltete Fassade mit den typischen Fenstern aufweist. Zu beobachten ist übrigens, dass auch bei den vielen Neubauten die traditionelle Architektur als Ausgangsbasis dient, Natursteinfassaden bevorzugt werden. Zementsteine gelten als zweitklassig und Lehm trotz seiner Vorteile als rückständig. Allerdings lösen freistehende ein- bis zweigeschoßige Häuser entlang der Straße im Tal zunehmend die Wohntürme ab. Charakteristisch und immer mehr verbreitet sind die - vom Sana'a-Baustil übernommenen - ornamentalen Fensteroberlichten ("Qamerias"), in eine Gipsplatte geschnittene filigrane Gitterwerke, die mit bunten Glasscheiben hinterlegt sind, durch die das einfallende Sonnenlicht ein buntes Muster im Innenraum bildet. Über den Jemen und seine zuvorkommenden und gastfreundlichen Menschen gäbe es noch viel zu erzählen. Die magische Anziehungskraft des Jemen hat sich nach dieser Reise auf jeden Fall noch verstärkt.

 
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