Als ich in den 80er-Jahren das erste Mal mit der Familie nach Skandinavien reiste, sollte es ursprünglich eine einmalige Angelegenheit bleiben. Doch dann erwischte uns der „Norwegen-Virus“, ein äußerst gefährlicher – Achtung Suchtpotential! – aber auch wohltuender Geselle. Warum zieht es uns immer wieder in den Norden? Es sind die Berge, kombiniert mit dem Meer, die Menschen, die nördlich von Trondheim das Wort Stress nicht in ihrem Wortschatz haben und die Weite des Landes. 5,5 Millionen Menschen verteilen sich auf 385.155 km² (inkludiert ist Spitzbergen).
Im Zuge vieler Reisen mit dem Wohnmobil kam es dann am Eismeer zum ersten Kontakt mit einem Schiff von Hurtigruten und so waren wir bald darauf mit diesem Linienschiff zu Zeiten unterwegs, als dies noch ein Geheimtipp war. Mit Hurtigruten ging es dann auch zweimal in die Antarktis.
Seit Jahrzehnten darf ich nun Reisegäste in diese schöne Region begleiten, seit 10 Jahren auch für Kneissl Touristik. War es berufsbedingt zuerst eine Hurtigrutenreise pro Jahr, werden es Jahr für Jahr mehr. Neben den Reisen mit Hurtigruten leite ich auch RundReisen, die Reise startet entweder im dänischen Kopenhagen oder im norwegischen Oslo.
Oslo
Nach einem nahezu pünktlichen Flug beziehen wir in Oslo unser neues Zuhause, den komfortablen SAB-Setra Bus sicher navigiert von unserm Fahrer Karl. Mit dem Bus geht es durch das Stadtgebiet von Oslo mit seinen zahlreichen Grünflächen. Historischen Boden betreten wir im Fram Museum. Das 1892 gebaute Expeditionsschiff brachte zuerst Fritjof Nansen zum Nordpol, wurde durch Kapitän Otto Sverdrup genutzt und kam zu Ruhm durch die Südpol Expedition von Roald Amundsen. Beeindruckende Architektur mit Oper, Munch Museum und Deichmann Bibliothek sowie die Fußgängerzone Johans Gate mit Domkirche, Parlament, königlichem Schloss und Rathaus begeistern die Teilnehmer. Das in der Nähe der Skisprungschanze gelegene Holmenkollen Hotel bietet einen unvergleichlichen Blick auf die Stadt Oslo und den gleichnamigen Fjord. Nach dem morgendlichen Spaziergang durch den Vigeland Park mit seinen Skulpturen geht es Richtung Norden: Entlang des Mjøsa Sees (größter Binnensee Norwegens) nach Lillehammer, wo bei einer inspirierenden Führung durch das Freilichtmuseum Maihaugen die Vergangenheit lebendig wird. Ein Sprung von der Olympia Schanze (allerdings zu Fuß) und weiter fahren wir durch das Gudbrandsdal. „Und ewig singen die Wälder“ war der Titel des ersten Romans der Björndal-Trilogie von Trygve Emanuel Gulbranssen aus dem Jahr 1933. Auch die 1867 von Henrik Ibsen geschriebene und von Edvard Grieg musikalisch bearbeitete Geschichte um Peer Gynt hat Bezug zu dieser Gegend.
Lom
Bei Traumwetter starten wir den eindrucksvollen Abstecher über Lom (mit seiner imposanten Stabkirche) in die Bergwelt. Eine Elchkuh mit Kalb quert die Straße und wir erreichen auf 1476 m den Aussichtpunkt am Dalsnibba. Der Rundblick zeigt uns beeindruckende Berge, Gletscher und tief unter uns den Geiranger Fjord, unser nächstes Ziel. In den Sommermonaten unternimmt auch die Hurtigrute täglich eine Fahrt in diesen Fjord. Über Passstraßen und vorbei an Obstplantagen fahren wir weiter. Die kurze Fährüberfahrt bringt uns in Kontakt mit Einheimischen. Für einen Kaffee und Waffeln (mit Erdbeermarmelade, Sauerrahm oder Brunost – karamellartiger Braunkäse) ist da immer Zeit. Der lange, erlebnisreiche Tag endet mit der Fahrt über das karge Dovrefjell.
Trondheim
In der 210.000 Einwohnerstadt Trondheim besuchen wir das im Hafen liegende Hurtigrutenschiff MS Nordkapp und erleben das Olavsfest mit buntem Treiben. Olav hat die Christianisierung vorangetrieben und wurde, nachdem er 1030 in der Schlacht um Stiklestad zu Tode kam, heiliggesprochen. Am - die Stadt umfließenden - Nidelv liegt nicht nur die mächtige Krönungskirche, der Nidaros Dom (die norwegischen Könige werden allerdings nicht gekrönt, sondern gesegnet), sondern auch die bunten Speicherhäuser sowie das Arbeiterviertel Bakklandet.
Unsere Beobachtungsgabe wird stark in Anspruch genommen. Elchsichtungen an Land, Seeadlersichtungen in den Lüften und später werden auch noch Schweinswale im Wasser dazu kommen.
Nachdem wir den beeindruckenden Wasserfall Laksfossen bestaunt haben und in Mosjøen eine wunderschöne bunte Häuseransammlung am Fjord bewundern konnten, überqueren wir auf einer Breite von 66° 33′ 55″ den Polarkreis. Das heißt, noch weniger Schlaf als bisher, weil es auch Anfang August rund um die Uhr hell ist.
Lofoten
Ein genussvolles Abendessen in Bodø (2024 gemeinsam mit Tartu in Estland und dem Salzkammergut europäische Kulturhauptstadt) und schon geht es am nächsten Tag mit der Fähre über den Vestfjord auf die Lofoten. Reich geworden durch den Stockfisch liegt auch der sehr spezielle Geruch dieser Stockfische in der Luft. Jedes Jahr von Jänner bis Anfang April gibt es den weltweit größten Kabeljaufang (Kabeljau ist der geschlechtsreife Dorsch): Der Fisch wird auf mehr als 3.000 Trockengestellen drei Monate lang luftgetrocknet, um dann als Bacalhau in den Süden Europas und bis nach Afrika geliefert zu werden. In Norwegen wird er als Fastengericht, aber auch an Festtagen verspeist.
Wir bewundern die bunten Dörfer und langen Sandstrände und schwimmen im türkisblauen Meer. Mit einem Elektrokatamaran befahren wir umweltfreundlich und still den Trollfjord, allerdings ohne mystische Stimmungen, weil die Sonne vom wolkenlosen Himmel lacht. Von der Inselgruppe der Lofoten und über die Vesterålen erreichen wir Narvik, wo das aus Kiruna stammende Eisenerz verschifft wird. Trotz dieser großen Anlage ist Narvik eine schöne Stadt, bei der das Skigebiet im Stadtzentrum endet.
Erste Sami Zelte und Rentiere zeigen uns, dass wir schon sehr weit nördlich sind. Dank des Golfstroms ist es hier um 24 Grad wärmer als in anderen Regionen dieser geographischen Breite (z. B. Nordalaska).
Tromsø
Die 78.000 Einwohnerstadt Tromsø mit ihrer Eismeerkathedrale begrüßt uns mit sommerlichen Temperaturen. Von hier aus starteten ab 1820 und starten weiterhin zahlreiche Expeditionen in die Arktis und Antarktis. Am Abend erklimmen wir mit der Gondel oder zu Fuß über mehr als 1200 Treppen (Sherpatrepa – gelegt von nepalesischen Sherpas) auf den 421 m hohen Aussichtsberg Storsteinen. Und wieder wenig Schlaf – vielleicht sollte ich im Winter wieder kommen, aber auch da wird der Schlaf Mangelware sein, weil ja das Nordlicht (Aurora Borealis) lockt.
Nordkap
6.00 Uhr Frühstück – warum so bald? Heute kommt eine lange Strecke hinauf zum Nordkap auf uns zu. Wir queren mit zwei Fähren den Ullsfjord und den Lyngenfjord und bewundern die cirka 100 km lange Kette der Lyngsalpen mit Bergen bis zu 1.800 m. Das spätsommerliche Land erstrahlt in rosa Farben – dem Weidenröschen sei Dank. Die norwegischen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft ermöglichen sogar im hohen Norden bestausgebaute Straßen mit vielen Tunnels. Für Kneissl-Reisende gibt es aber immer wieder Abstecher auf Nebenstraßen wie z. B. auf das Kvænangsfjell mit Blick auf Meer, Berge, Gletschergebiete und Rentierherden. Kurz vor Hammerfest bietet das Alta Museum interessante jungsteinzeitliche Felsritzungen.
Hier leben 75.000 Einwohner auf 48.637 km². Da kann man sich aus dem Weg gehen.
Nordkap
Um 21.00 Uhr starten wir von Honningsvåg aus hinaus zum Nordkap auf 71° 10′ 16″ nördlicher Breite, rund 2.100 Kilometer vom Nordpol entfernt und 514 Kilometer nördlich des Polarkreises. Da wir uns auf der Insel Magerøya befinden, ist dies nicht der nördlichste Festlandpunkt Europas. Dieser befindet sich östlicher auf der Landzunge Kinnarodden (71° 08′ 01″ nördlicher Breite) auf der Halbinsel Nordkinn. Wir genießen den traumhaften Abend mit kaum Wind und Sonnenuntergang um 22.45 Uhr. Die Sonne taucht ins Meer ein und führt bis zum Wiederaufgang zu faszinierenden Stimmungen.
Auf der Nordkap-Insel weiden während des Sommers tausende Rentiere. Sie werden von den Kautokeino Sami aus dem Landesinneren im Frühjahr mit der Fähre oder durch den Tunnel auf die Insel Magerøya gebracht, weiden den ganzen Sommer auf der Insel und sind im Herbst stark genug, um über den Magerøysund zurück auf das Festland zu schwimmen.
Durch den 6875 Meter langen und 212 m tiefen unter dem Magerøysund führenden Nordkaptunnel kehren wir auf das Festland zurück. Wie für die meisten aufwändigen Bauwerke in Norwegen wird so lange Maut eingehoben, bis das Bauwerk finanziert ist. Dieser Tunnel ist bereits mautfrei. Wäre das eine Überlegung für die Großglockner Hochalpenstraße?
In Finnland
In Finnland gehen die Uhren anders, nicht nur wegen des etwas schrillen Humors – wir stellen die Uhren um eine Stunde nach vor und fahren durch einsame Landschaft bis kurz vor Ivalo, wo wir in Siida ein sehr interessantes Sami Museum besuchen und den weitläufigen Inari See in der Sonne strahlend bewundern.
Unterwegs im Urho-Kekkonen-Nationalpark (benannt nach dem ehemaligen Präsidenten Finnlands) besuchen wir den Aussichtsberg Kaunispää. Das friedlich weidende Rentier lässt sich von uns nicht stören. Sogenannte Nordlicht Bungalows mit Glasdächern warten auf Touristen im Winter. Hier gibt es auch endlose Langlaufloipen und sogar ein paar Skilifte. Vorbei an der Goldsuchergegend Tankavaara erreichen wir Sodankylä mit seiner alten Holzkirche. Hier gibt es als Gegenveranstaltung zu den üblichen Filmfestivals alljährlich das von den Brüdern Aki und Mika Kaurismäki ins Leben gerufene Midnight Film Festival.
Oberhalb von Rovaniemi verläuft der Polarkreis. Der Weihnachtsmann wohnte am Berg Korvatunturi (Ohrenberg), von wo aus er die Wünsche der Kinder aus der ganzen Welt hören konnte bzw. kann. Praktischerweise hat er seinen Wohnsitz aber in die Nähe des Flughafens verlegt und so können Touristen leichter zu ihm gelangen. Wir nächtigen in der bunten Stadt Oulu, eine pulsierende 203.000 Einwohner Stadt und eine Boomtown mit einer Geburtenrate von mehr als 2 Kindern.
Auf der Fahrt nach Helsinki besuchen wir Savonlinna mit der Burg Olavinlinna (jedes Jahr Opernfestspiele) im Herzen des finnischen Seengebiets am Saimaa Seensystem. 25 km davon entfernt bestaunen wir die riesige Holzkirche in Kerimäki. Sie ist 45 m lang, 42 m breit und 37 m hoch und bietet Sitzplätze für 3.500 Menschen. Eine Legende erzählt, warum die Kirche so groß ist: Ein Bauer aus dem Ort soll in jungen Jahren nach Amerika ausgewandert sein und dort ein großes Vermögen erworben haben. Er dachte aber immer wieder an seine finnische Heimat und wollte für die Zurückgebliebenen eine Kirche stiften. Die Maße gab er in Fuß an (1 Fuß = 0,3048 m). Die finnischen Bauern kannten dieses Maß nicht und nahmen daher an, es würde sich um Meterangaben handeln …
In Helsinki wohnen wir direkt im Zentrum und besuchen noch am Abend das Sibelius Denkmal. Der nächste Tag diente der Erkundung dieser vielfältigen Stadt: Marktplatz, Finlandia Halle, Zentralbibliothek Oodi, Felsenkirche, orthodoxe Uspenski Kathedrale, evangelisch-lutherische Domkirche, Eisbrecherflotte und vieles mehr.
Am Abend nehmen wir das Fährschiff nach Stockholm. Als besonderes Highlight beglückt uns gegen Mitternacht noch ein beeindruckendes und unerwartetes Nordlicht. Mitternachtssonne und Nordlicht bei einer Reise gibt es wahrlich selten.
Stockholm hält uns dann einen Tag lang in Bann mit beeindruckenden Bauwerken und pulsierendem Leben: Gamla Stan, königlichem Schloss, Stadshuset (hier gibt es alljährlich das Bankett für die Nobelpreisträger*innen; unser Hotel befindet sich gegenüber dem Konzerthaus – dort werden die Nobelpreise überreicht), Riddarholmen, Domkirche und deutscher Kirche, aber auch dem Vasa Museum.
Von der Offenheit und Ruhe der Nordländer zehren wir noch lange. Für das weitere Leben - eine riktig, riktig god reise!