Sie kennen Tortellini, Aceto Balsamico, Parmaschinken? Der Rundkurs von Imola und die roten Flitzer von Ferrari lassen Ihr Herz höherschlagen? Sie träumen von den goldenen Mosaiken Ravennas, die schon Gustav Klimt begeistert haben? All diese Dinge, die man sofort mit Italien in Verbindung bringt, haben ihren gemeinsamen Ursprung in einer der vielfältigsten Regionen Italiens.
Auf dem Weg in die Toskana ist Bologna meist nur einer der unangenehmsten Punkte der Autobahn in Richtung Süden. In bis zu sechs Spuren wird der dichte Verkehr um die Hauptstadt der Emilia-Romagna herumgeleitet, zu Stoßzeiten eine große Herausforderung. Entscheidet man sich, einen Abstecher ins Zentrum zu wagen, hat man eine gute Wahl getroffen. Bologna mit der ältesten Universität Europas ist eine lebendige Stadt ohne allzu große Touristenmassen. Die Einwohner selbst haben mit drei Schlagworten ihre Stadt am besten charakterisiert: la Dotta, la Rossa, la Grassa – die Gelehrte, die Rote, die Fette.
Man wandert auf den Spuren der mittelalterlichen Gelehrten durch die engen Gassen der Altstadt und kann sich in dem barocken Anatomiesaal der alten Universität in längst vergangene Zeiten versetzen. Gleich um die Ecke stärkt man sich in den zahlreichen kleinen Lokalen und Geschäften, Tortellini und feinste Wurstwaren zählen zu den Spezialitäten, immerhin kommt auch die Mortadella aus der Emilia-Romagna.
Und la Rossa? Der warme Rotton der Dächer und alten Häuser bringt die Bewohner zum Schwärmen über die Schönheit ihrer Stadt. Der berühmte Liedermacher Lucio Dalla hat mit seinem Song „La Piazza Grande“ seiner Heimatstadt ein Denkmal gesetzt. Die große Kirche des Stadtpatrons San Petronio, die Paläste mit ihren Arkadengängen, der Neptun Brunnen geben einen Vorgeschmack auf den Kunstreichtum von Bologna. Frühchristliche Kirchen und schon recht schiefe Adelstürme aus dem Mittelalter führen den Besucher noch weiter in die Vergangenheit.
Aus der Po-Ebene kommend hat man bei Bologna wieder Berge vor sich. Die Gebirge des Apennins, die den gesamten italienischen Stiefel wie ein Rückgrat durchziehen, sind hier noch nicht sehr hoch, bilden aber eine besonders abwechslungsreiche Landschaft, durchsetzt von mehreren Naturparks, die als Wandergebiet sehr beliebt sind.
Wendet man sich von Bologna in Richtung Nordwesten, kommt man in die Provinz Modena, in ein Gebiet mit sanften Hügeln, kleinen Wasserläufen, aber durchaus auch schroffen Felsklippen. Das Klima mit warmen Sommern und relativ kühlen Wintermonaten bietet die besten Voraussetzungen für das berühmteste Produkt von Modena, den Aceto Balsamico. Seit Generationen reift auf den Dachböden der Acetaie, der Essigmanufakturen, die kostbare Flüssigkeit. Aber es ist nicht einfach „Essig“. Das sorgsame Umfüllen des Grundprodukts von Fass zu Fass, die Wahl des Holzes, sei es Kirsche, Kastanie oder ein anderes aromagebendes Holz, und die Jahre des Reifungsprozesses unter den Temperaturschwankungen auf den Dachböden bringen den Erfolg. Seit Generationen wird das Wissen in den Familien weitergegeben, eine Handvoll Manufakturen ist in einem Konsortium zusammengeschlossen. Die Erzeugnisse sind strengsten Kontrollen unterworfen und haben ihren Preis. Trotzdem, das schnelle Geld kann man mit dem Aceto Balsamico nicht machen, es ist eine Aufgabe für Generationen und darauf ist man stolz. Der Kunst sollte man in Modena unbedingt auch Zeit widmen: die Kathedrale in zarten Rosatönen beherrscht seit beinahe 1000 Jahren das Zentrum der Stadt.
Wer mehr auf Schnelligkeit setzt, wird sich im nahen Maranello wohler fühlen. Hier gründete Enzo Ferrari 1947 sein Unternehmen, die Entwicklung von den ersten Rennautos zu den futuristischen Modellen von heute wird im hauseigenen Museum gezeigt, begeisterte Motorfans können auf der Rennstrecke Proberunden drehen.
Wenige Kilometer weiter Richtung Nordwesten wird die Landschaft wieder flacher, die Po-Ebene ist erreicht. Etwas südlich des Flusses liegt Parma, eine Stadt mit langer Geschichte und wechselnden Herrschaften, deren Spuren zum Teil noch im Stadtbild abzulesen sind. Zu den architektonischen Kostbarkeiten zählt das Baptisterium neben dem Dom, ein Bau aus dem 13. Jahrhundert, sicher einer der bedeutendsten Bauwerke der Epoche in Italien. Der riesige Palazzo der Familie Farnese aus dem 16. Jahrhundert mit einem der ersten Barocktheater beherrscht einen Teil der Altstadt. Viel kleiner, aber auch viel eleganter findet sich in unmittelbarer Nachbarschaft das Teatro Regio di Parma, ein klassizistischer Bau, der einer sehr beliebten Herrscherin der Stadt gewidmet wurde, Herzogin Marie Louise von Parma. Als junges Mädchen hat sie Ihr Vater Kaiser Franz II. /I. aus politischen Gründen mit Napoleon verheiratet, auf dem Wiener Kongress wurde ihr das Herzogtum Parma zugesprochen. Sie wurde eine sehr fürsorgliche Landesmutter, deren Andenken in der Stadt noch heute hochgehalten wird. Ihre geliebten Parmaveilchen schmücken heute noch immer ihren Sarkophag in der Kapuzinergruft.
Feinschmecker zieht es eher in die Region außerhalb der Stadt, dort wo der berühmte Parmaschinken produziert wird. Unter idealen Bedingungen von Temperatur und Feuchtigkeit reifen in den Produktionsstätten tausende Schinken, jeder einzelne von Hand behandelt und sorgsam geprüft. Nach Monaten der Reife entwickelt sich der unvergleichlich zarte, würzige Geschmack des Schinkens, der förmlich auf der Zunge zergeht. Das Gebiet ist aber auch bekannt für die Käseproduktion. Parmigiano Reggiano ist nicht einfach ein Käse, den man gedankenlos über die Pasta streuen sollte, Parmigiano Reggiano gehört ebenso zu den besonderen Produkten der Emilia-Romagna, deren Qualität streng geprüft wird, deren Produktion auf jahrhundertelanger Erfahrung basiert.
Vom Westrand der Emilia-Romagna nun ein großer Sprung in den Osten der Region. Ein eklatanter Wechsel der Landschaft fällt ins Auge. Zahlreiche kleine Wasserläufe, die vom Apennin Richtung Meer fließen, bewässern die Felder, speisen das Kanalsystem, das die Reisfelder der Ebene zwischen Ferrara und Ravenna in abgezirkelte Flächen zerteilt. Besonders im Frühling und Herbst ziehen mystische Nebel am Morgen über die Felder. Die Ostküste der Emilia-Romagna geht sehr flach ins Meer über, ideal für die Badestrände rund um Rimini. Die Besucher der Strand-Party-Meile und die diejenigen, die sich für das römische Erbe und die Kunstwerke der Renaissance in Rimini interessieren, werden einander wohl kaum in die Quere kommen. Die Kulturbeflissenen zieht es meist weiter nach Ravenna, der letzten Residenzstadt römischer Kaiser, dem Herrschaftssitz von Odoaker und Theoderich. Schon im 5. Jahrhundert war die Stadt ein wichtiger Erzbischofssitz, später der Vorposten des oströmischen Reichs. Die ehemalige Bedeutung von Ravenna spiegeln heute noch die reichen Mosaikzyklen in den Kirchen und Baptisterien der Stadt wider. Das mächtige Grabmal des Theoderich ist Anziehungspunkt von Besuchern, einer der ersten, der die Bedeutung erkannt hatte, war Kaiser Karl der Große, der nicht nur das Grab besucht hat, sondern gleich auch einige Ausstattungsstücke in seine Pfalz nach Aachen hatte bringen lassen. Für Sprachinteressierte ist Ravenna bedeutend als Grabstätte von Dante Alighieri, der seine letzten Lebensjahre im Exil in Ravenna verbrachte.
Von Ravenna geht es nun noch einmal nach Norden, nach Ferrara, ein Städtchen mit Kultur- und Wirtschaftsbedeutung nicht nur in unserer Zeit. Dem Besucher fällt auf, dass Ferrara eine Stadt der Radfahrer ist, ganz untypisch für Italien. Das mächtige romanische Kastell der Familie Este steht am Eingang in die Altstadt, die engen Gassen und das jüdische Ghetto umschließen den Dom. Eine Erinnerung an das jüdische Ferrara wird in dem Buch/Film „Der Garten der Finzi Contini“ (Giorgio Bassani 1962/Vittorio de Sica 1970) geweckt, ein Bild der großbürgerlichen jüdischen Gesellschaft von Ferrara zur Zeit des Faschismus.
Der Rundblick durch die Emilia-Romagna zeigt, dass in dieser Region für jeden etwas dabei ist: Kunst, Natur, Kulinarik und Urlaub mit weniger Hektik als in vielen anderen Gebieten Italiens.