Feuer – Eis, intakte Natur – moderne Städte, Bauernromantik – High Tech Industrie, Individualtourismus – Kreuzfahrtkarawanen, das sind nur einige der Gegensätze, die uns zu Island ziemlich spontan einfallen. Island ist eine Insel voller Gegensätze, doch woher kommen die?
Da sind einmal die Menschen: Mitten im Atlantik war vor Jahrhunderten der Schauplatz der frühen Diaspora der Skandinavier. Sie entdeckten und besiedelten zuerst die Inselgruppe der Faröer und im Anschluss daran Island – das trotzige Ende der Welt, wie es die Wikinger nannten. In den folgenden Zeiten sollte sich der Nordatlantik zu einem Zentrum der Wikinger-Aktivität entwickeln, nicht nur im Hinblick auf die Errichtung der isländischen politischen Kultur, die so ganz anders und neu war, als auch im Hinblick auf die Besiedelung Grönlands und die erste europäische Landnahme in Nordamerika. Spannende Kapitel der Geschichte, auf die wir während unserer Reise immer wieder stoßen werden.
Neue Ordnung
Während in Skandinavien neue Nationen entstanden, welche die Idee eines Königreiches mit jener Macht kombinierten, die sich letztendlich vom christlichen Gott herleitete, entstanden im Nordatlantik völlig neue Welten: ab dem 9. Jahrhundert wurde Island besiedelt und bot die Chance für ein kühnes gesellschaftliches Experiment, welches das Gegenteil dessen war, was sich in den Heimatländern der Wikinger ereignete. Die Isländer schufen eine eigene Gesellschaftsordnung, etwas Anderes und Neues. Die wilde Landschaft der Insel und ihre Gegensätze, auch damals geprägt von aktiven Vulkanen, unendlichen Ebenen aus schwarzer Lava und vulkanischem Tuff und gewaltigen Gletschern, aber auch von fruchtbaren Küstenebenen und reichen Fischgründen passte zu der Kultur, die dort entstehen sollte.
Die Skandinavier des 9. Jahrhunderts reisten aus vertrauten Gründen, auf der Suche nach Land, Ressourcen und Reichtum und nicht zuletzt im Streben nach Anerkennung und Nachruhm. In Island war all das nie einfach, eine abgelegene Insel von Pionieren und Siedlern, ohne Herrscher, und das im Zeitalter der gottgesandten Monarchen! Eine Republik von unabhängig denkenden Bauern in einer Zeit aufblühender Nationalstaaten. Die Bevölkerung Islands der Gründerzeit, der sogenannten Landnahmezeit, war gegensätzlich und bunt gemischt – Männer aus Norwegen und von den schottischen Inseln, Frauen aus Skandinavien und vor allem aus den Gebieten der Irischen See. Innerhalb eines Jahrhunderts hatten sich immer mehr Siedler an den Flüssen und Fjorden häuslich niedergelassen. Gegensätze bestimmten das Leben der Menschen auf Island von Anfang an: in guten Jahren herrschte Überfluss, die Natur war freigiebig wie kaum irgendwo anders, in schlechten Jahren – etwa nach einer der zahlreichen Vulkankatastrophen – lebten die Menschen am Rande des Existenzminimums. Trotz allem oder vielleicht genau deswegen entstanden vielfältige Welten im Kleinen, Familien wurden berühmt, gerieten wieder in Vergessenheit und hinterließen ihre Spuren in den Sagas.
Geologie und mehr
Die Geschichte Islands als Insel begann natürlich schon lange vor der Besiedelung, vor etwa 25 Millionen Jahren. Klingt alt, ist aber im Vergleich zur 4,5 Milliarden Jahre langen Geschichte unserer Erde ein kurzer Moment. Das Auftauchen der Insel aus dem Nordatlantik hat sie zwei gewaltigen plattentektonischen Phänomenen zu verdanken, die in dieser Kombination weltweit einzigartig sind. Einmal ihrer Position auf dem mittelatlantischen Rücken – einer Tausende km langen Struktur, die den Atlantik von Nord nach Süd durchzieht, an der permanent neuer Ozeanboden gebildet wird. Vor allem aber der Existenz eines sogenannten Hot Spots genau unter Island – eine Aufwölbung des Erdmantels, die gewaltige Energiemengen bis an die Erdoberfläche bringt, den Erdmantel und die Kruste aufschmelzen lässt und die hauptverantwortlich für die bis heute anhaltende vulkanische Aktivität auf der Insel ist.
Island ist also ein Land, das es - geologisch gesehen – eigentlich nicht geben dürfte, besiedelt von einem Volk, das längst hätte evakuiert werden sollen. Und ein Land der gelebten Unmöglichkeiten ist Island auch bis heute geblieben. Die Natur greift so unmittelbar in das Alltagsleben ein, wie wir es in Europa nur selten, wenn leider auch immer häufiger erleben. Das beginnt bei Sandstürmen mit zerstörerischer Erosionskraft und hört bei Vulkanen auf, die unter Gletschern ausbrechen, Flutwellen katastrophalen Ausmaßes verursachen und das Gesicht der Landschaft innerhalb von Stunden völlig verändern.
Auch das Gefühl, dass es zu wenig Bewohner auf Island gibt, um das komplette Gemeinwesen am Laufen zu halten, kennen die Isländer bis heute. Das Land muss mit nur 380.000 Menschen (aber mit vielen „Gastarbeitern“ im Tourismus) alle Funktionen einer arbeitsteiligen Gesellschaft besetzen, einen kompletten Nationalstaat am Laufen halten, Botschafter in alle Welt, Mitarbeiter zur NATO und UNO schicken, eine Oper, ein Sinfonieorchester und ein Ballett finanzieren und ein dauernd von Unwettern und anderen Katastrophen fortgespültes Straßennetz reparieren. „Wie machen die das?“ – diese Frage stellt sich auch Kristof Magnusson in seiner „Gebrauchsanweisung für Island“ und er kann diese Frage nicht wirklich beantworten, was seine und unsere Überzeugung verstärkt, dass Island weniger ein Land, sondern vielmehr ein Wunder sei.