Als ich vor vielen Jahren als Student nach Paris kam, bezog ich Quartier im Marais-Viertel. Das Marais ist eine kleine Welt in der großen Weltstadt. Die Häuser hier sind ein wenig älter und bescheidener als in den übrigen Arrondissements, die Gassen verwinkelter und mitunter noch kopfsteingepflastert. Hinter hohen Mauern alter Adelspaläste erspähte ich prachtvolle Innenhöfe und schließlich stand ich auf dem wohl schönsten der Pariser Plätze, der Place des Vosges. Einst als Domizil reicher Höflinge geplant, ist die Anlage längst zu einem Wohnzimmer für jedermann geworden – auf den Rasenflächen zwischen den Renaissancepavillons wird ohne Hast Wein getrunken, Fangen gespielt, werden Hunde ausgeführt und Vögel gefüttert.
Flanieren
Mit wenig Geld, aber vielen Vorstellungen war ich in Paris gelandet, hatte mir eine Stadt der Lichter, der Liebe, des Luxus und des Lasters ausgemalt. Flanierend – denn in Paris spaziert man nicht, man flaniert! – begab ich mich auf Entdeckungstour. Ich sah die Lichter, sah die tausenden Lampen auf dem Eiffelturm funkeln, die Reflexionen von Monumenten und Laternen auf dem Wasser der Seine, die leuchtenden Jugendstil-Metrostationen von Hector Guimard, die aussehen, als wären sie ganz von allein gewachsen. Ich sah den Luxus, das Hotel Ritz auf der Place Vendôme, von Coco Chanel liebevoll mein Haus genannt, und wagte verstohlen ein paar Blicke in die Tempel der französischen Spitzengastronomie. Ich wanderte durch das lasterhafte Paris, vorbei an Lido, Crazy Horse und dem sich so verführerisch drehenden Rad des Moulin Rouge, weiter zum Kabarett Lapin Agile, wo Picasso und Co ein- und ausgingen, geküsst von einer grünen Fee namens Absinth. Und zuletzt fand ich die Liebe, nämlich die meinige zu Paris.
Bestimmt liegt der Zauber dieser Stadt in ihrer unvergleichlichen Optik begründet: Denn Paris, diese Krone Frankreichs, die – wen wundert es – schon immer Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt war, erscheint wie aus einem Guss gefertigt. Alles hier fügt sich harmonisch ineinander: Die eleganten Wohnhäuser aus hellem Kalkstein mit ihren filigranen Balkonen, die großzügigen, baumgesäumten Boulevards und Avenuen, die wahrlich herrschaftlichen Parkanlagen, die Brasserien mit ihren putzigen runden Tischchen, die Patisserien, in denen süße Kunstwerke kredenzt werden.
La grandeur
Freilich hat Paris grandeur, ist monumental. Unweigerlich zieht es einen zu Notre Dame, auf die Île de la Cité, wo die Stadt ihren Ursprung nahm. Es ist schwer vorstellbar, dass hier einst die keltischen Parisii siedelten, in einfachen Hütten, umgeben von unwirtlichem Sumpfland. Die Kathedrale, deren Brand nicht nur den Parisern die Tränen in die Augen trieb, strahlt nun in neuem Glanz, renoviert für die Ewigkeit. Für 2024 war die Wiedereröffnung geplant, man hat Wort gehalten. Den Rang eines Wahrzeichens macht der gotischen Schönheit nur der Eiffelturm streitig. In Rekordzeit für die Expo 1889 errichtet, hagelte es bald heftige Kritik, zu radikal war die Konstruktion aus Schmiedeeisen damals. Sogar mit dem Abbau des Turms wurde geliebäugelt. Heute wissen wir es besser: Ein Paris ohne Eiffelturm ist zum Glück undenkbar geworden. Von der Terrasse beim Trocadéro lässt sich am besten erahnen, welche Genialität und Kühnheit notwendig gewesen sein muss, um dieses Bauwerk der Superlative zu errichten.
Den gebauten Wundern der Vergangenheit steht die Moderne in nichts nach. Gegen alle Widerstände war Paris immer schon Trendsetter. Auch Renzo Pianos Centre Pompidou war ehedem umstritten, wird heute noch von den Parisern mit einem Augenzwinkern la raffinerie genannt, bildet aber längst einen willkommenen Kontrast im Stadtbild. Weit im Westen markiert der riesige Bogen La Grande Arche das Hochhausviertel La Défense – eine eindeutige Reminiszenz an den Arc-de-Triomphe Napoleons auf den Champs-Élysées. Und erst vor wenigen Jahren öffnete die Fondation Louis Vuitton im Bois de Boulogne ihre Pforten, spektakulär in Szene gesetzt vom Stararchitekten Frank Gehry.
Boulangerie und Louvre
Durch die Gassen des Quartier Latin strömt derweil der warme Duft von Gebackenem – unbedingt muss man in die Boulangerien hinein, um sich mit Baguette, Croissants und Pains au Chocolat einzudecken. Vorbei am grandiosen Panthéon, der letzten Ruhestätte von Größen wie Jean-Jacques Rousseau und Marie Curie, gelangt man zum Jardin du Luxembourg. Besonders im Herbst und im Frühjahr zeigt sich die grüne Lunge im Herzen der Stadt von ihrer besten Seite. Ein buntes Blütenmeer erwartet den Besucher, im großen Bassin lassen Kinder ihre Spielzeugboote schwimmen. In der Ferne mag der schwarze Block des Montparnasse-Turms irritieren, doch fährt man auf dessen Aussichtsterrasse hinauf, bietet sich ein sensationeller Panoramablick.
Dem künstlerischen Erbe von Paris kann man in den vielen Museen der Stadt oder auf dem Montmartre nachgehen. Ende des 19. Jahrhunderts avancierte der überschaubare Hügel nördlich des Stadtzentrums zum place to be für kreative Geister aus ganz Europa. Renoir, Toulouse-Lautrec und Van Gogh gaben sich hier die Klinke in die Hand. Zugegeben: Vieles auf dem Montmartre mag ein wenig „touristisch“ geworden sein, aber es gibt sie noch, die stillen Flecken von einst, den Weingarten, die uralte Kirche Saint-Pierre und die hölzerne Galette-Mühle.
Zurück im Zentrum statte ich dem Louvre einen Besuch ab. Festung, Königsresidenz, Museum – immer wieder hat dieser enorme Baukomplex seine Bestimmung geändert. Die schillernde Glaspyramide zeigt den Eingang an. Natürlich schaue ich bei der Mona Lisa vorbei, aber meine heimlichen Favoriten sind das Floß der Medusa von Géricault und die geflügelte Nike im Treppenaufgang.
Es ist Abend. Während sich die Restaurants allmählich füllen und die Weinkaraffen zu den Tischen getragen werden, unternehme ich eine Bootsfahrt auf der Seine. Langsam gleitet die Stadt an mir vorbei, da wird mir bewusst: Von der Liebe zu Paris kommt man nicht mehr los, die bleibt für immer.