Mächtig und dunkel-türkis leuchtend stürzen die Wassermassen des Goðafoss in die Tiefe – es ist 8 Uhr morgens, Hochsommer, und wir sind die einzigen Besucher vor diesem fantastischen Naturschauspiel (Sommer 2020). Es ist fast zu schön, um wahr zu sein ... Nur wenige Kilometer ostwärts liegen die Naturwunder des Mývatn – wir haben ein unheimliches Glück mit unserem Tag. Obwohl der Wetterbericht eher bedecktes Wetter angekündigt hatte, öffnen sich immer wieder herrlich blaue Fenster und bieten dramatische Wolkengebilde. Nicht nur der buchtenreiche See ist Anziehungspunkt – es sind vor allem die Überreste des einst und jetzt sehr intensiven Vulkanismus, die uns komplett in den Bann ziehen. Wir streifen in Dimmuborgir durch einen erkalteten Lavasee, in dem die Lavamassen teils Türmchen, Wälle, Fenster oder Kessel bilden. „Dämmerburgen“ werden sie genannt und gelten als Heimat von Trollen und Elfen (angeblich glauben mehr als 50% der Isländer, dass es Elfen gibt, für 90% ist es vorstellbar...). In Skútustaðir bewundern wir die großen Pseudokrater und stehen im Garten von Höfði vor unzähligen kleinen Lavatürmchen, die aus dem See aufragen. Aber ganz fest klopft unser Herz im Osten des Sees – im faszinierenden Solfatarenfeld von Námaskarð und bei der Krafla-Leirhnjúkur Spalte. Zwischen 1975 und 1984 war hier die Erde zuletzt aktiv, zahlreiche Lavaströme sind geflossen – bis zum geothermalen Kraftwerk – und bis heute orten Geologen knapp unter der Erdoberfläche eine große Magmakammer, die den Vulkanismus nicht abebben lässt. Es brodeln die Schlammkrater, große Schlammblasen explodieren immer wieder; es zischt und dampft und stinkt nach Schwefel. Die Hänge sind ocker-gelb überzogen – dazwischen lassen einen alle Varianten von postvulkanischen Erscheinungen staunen. Für mich gilt hier: Herz, was willst du mehr. So großartige ungebändigte Natur, solche bizarren Naturschauspiele – und das nur 4 Flugstunden von Österreich entfernt.
1978 war ich das erste Mal in Island – mit einer Gruppe der Naturschutzjugend, die mein Bruder zusammengestellt hatte. Aus der ersten großen Neugierde, die schönsten Naturwunder der Insel kennenzulernen, hat sich eine jahrzehntelange intensive Arbeits- und „Liebes“-Beziehung zu Island entwickelt, die bis heute ungebrochen ist. In dieser langen Zeit lernt man viel kennen – Schönes und Überraschendes, viele nette Menschen, interessante Episoden. Aber Island ist und bleibt in gewisser Weise Teil von mir und kann mich auch nach mehr als vier Jahrzehnten begeistern und mit seiner wilden Schönheit fast umwerfen.
Insel aus Feuer und Eis, Insel der Wikinger, das Asgard der nordischen Götter. Viele Umschreibungen gibt es für die Insel, die ca. 25% größer ist als Österreich. Und die Insel kann mit zahllosen Superlativen aufwarten – vom mächtigsten Wasserfall Europas (Dettifoss) bis hin zu den ergiebigsten Heißwasserquellen der Welt (Deildartunguhver), von der größten Lavawüste der Erde (Ódáðahraun), wo Neil Armstrong vor der 1. Mondlandung der NASA trainierte, bis zum größten Gletscher Europas (Vatnajökull) inmitten des größten Nationalparks von Europa (14.141 qkm), der zum UNESCO-Weltnaturerbe zählt. Und nicht zu vergessen das älteste noch bestehende Parlament der Erde, das 930 in Þingvellir gegründet wurde (heute UNESCO-Weltkultur- und Naturerbe).
Doch werfen wir einen Blick auf andere faszinierende Teile des Landes – Island ist ja eine sehr kontrastreiche Insel mit meist grünen Küsten (nicht im Südosten) und einem rau-bizarr-überwältigenden Hochland. Wer vom Norden in den Süden will oder vice versa, erlebt entlang der Kjölur-Hochlandroute (Achtung: 4x4 Fahrzeuge sind notwendig oder geländegängige Busse!) nicht nur die heißen Quellen von Hveravellir, sondern auch das „Tal der 1000 Quellen“ im Kerlingarfjöll-Massiv. Atemberaubend schön – solche Begriffe sind schnell überstrapaziert. Aber für die Kerlingarfjöll darf es wirklich gelten – bizarr bunte Rhyolith-Hänge, dazwischen dampfende Thermalquellen und herrliche Wanderwege, die durch die einzigartige Szenerie führen. Und am Ende der Hochlandpiste erwartet uns der „goldene Wasserfall“ Gullfoss mit seinen Wassermassen, die über zwei Stufen in eine tiefe Schlucht stürzen – recht oft geschmückt von einem Regenbogen, der ihm den Namen gab.
Nicht vergessen darf man auf die „eisige“ Ecke Islands im äußersten Südosten. Hier thront der 7900 qkm große Gletscher Vatnajökull, aus dessen Eismassen (geschätzte 3000 Kubikkilometer!!!) sich Islands höchster Berg Hvannadalshnúkur (2110 m) erhebt. Wir als Besucher stehen in etwa auf Meeresniveau und sind beeindruckt von den immensen Eisbrüchen und Gletscherzungen, die weit in die schwarzen Ebenen des Skeiðarársandur hinausreichen. Von ganz besonderer Schönheit sind die kleineren und größeren Eisseen mit zahlreichen Eisbergen. Der größte unter ihnen, Jökulsárlón, liegt in einem fantastischen Naturamphitheater, das von zahlreichen Gletscherzungen dominiert wird – über den nur knapp 500 m langen Zufluss gelangen kleinere und größere Eisbrocken zum Meer, die von den Wellen des Atlantiks wieder an die schwarzen Strände geworfen werden – Diamond Beach ist der klingende Name für den Strand mit seinen zahlreichen Eisgebilden!
Vulkanismus am Mývatn, Hochland-Erlebnisse, Gletscher – jetzt wollen wir noch ein besonders schönes Küstengebiet kennenlernen: die Halbinsel Snæfellsnes im Westen von Island. Island en miniature wird sie gerne beschrieben – und sie bietet wirklich viel Abwechslung: Von Arnarstapi bis Hellnar kann man bei einem Küstenspaziergang in die Nester von zehntausenden Seevögeln schauen – Dreizehenmöwen, Lummen, Tordalken und Papageitaucher sind hier zu finden. Besonders eindrucksvoll sind die Felsformationen bei Lóndrangar – Basalttürme ragen hier wie eine Festung am Strand auf. Zehntausende Küstenseeschwalben brüten auf der Westspitze der Halbinsel – und fliegen im späten Sommer nach Namibia zurück... und am Weg zum beeindruckenden Berg Kirkjufell sollte man unbedingt die vielen farbenprächtigen Wandmalereien in Hellissandur begutachten und Kaffee und Kuchen im Gilbakki genießen. Über all dem thront der vergletscherte Vulkan Snæfellsjökull (1446 m), bei dem Jules Verne seine „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ startete und den der isländische Literaturnobelpreisträger Halldór Laxness in seinem Roman „Am Gletscher“ verewigte.
Jeder Fleck der Insel ist sehenswert – erst vor kurzem wurde eine neue Aussichtsstraße im äußersten Nordosten, der Diamond-Circle, eröffnet. Den Besucher erwartet Natur pur, manchmal ungeschliffen und in ihrer Wildheit für uns fremd, aber dafür umso reizvoller. Die Infrastruktur ist erklassig und sie hat ihren Preis … die Menschen sind gastfreundlich, mit dem höchsten „Buch-Konsum“ in Europa. Ja, die Isländer sind kreativ und das zeigt sich besonders in der Hauptstadt Reykjavík – in vielen Museen und einer beeindruckenden Gegenwartskunst.
Island ist eine Urgewalt, in jeder Hinsicht!