Auf den Habichtsinseln, Ilhas dos Acores
„Das bei uns legendäre `Azorenhoch´ wird man auf den Azoren kaum antreffen, nicht einmal im Hochsommer, dafür aber eine zauberhafte Landschaft und eine katholisch geprägte Volkskultur, die sich auf den ersten Blick in vielen weiß-bunten Heilig-Geist-Kapellen, Impérios, zeigt. Die 9 Inseln, die zu Portugal gehören, sind im Mittelatlantik der letzte Vorposten Europas und in jeder Hinsicht ein Geheimtipp. Seit ihrer Entdeckung im 15. Jahrhundert wurde die exponierte Lage der Insel als Zwischenstation in die neue Welt und retour genützt. Die Welt kam auf die Azoren, daher atmen die Inseln bei aller Grünkraft auch etwas Weltläufiges. Erobert wurden die Azoren (abgesehen von einer fruchtbringenden Phase unter spanischer Herrschaft) vor allem von einer enorm wuchsfreudigen invasiven Pflanzenschar. Einige von ihnen hüllen die Inseln mit einer Kraft ein, dass man nur staunen kann. So überziehen der Schmetterlingsingwer mit seinen girlandenförmigen Blüten, die Sicheltanne und das blaue Wunder Ipomea indica riesige Gebiete auf São Miguel. Sie sind schön anzuschauen, so wie die wunderbaren Hortensien, die unsere Wanderwege säumen. Das Blau des Himmels, des Meeres und der Hortensien strahlen bei einer der Wanderungen auf São Jorge, der beliebten Wanderinsel, um die Wette. Leider verdrängen die Schönen die einheimischen Arten wie den Azoren-Lorbeer, die ursprünglichen Habitate und Ökosysteme verändern sich stark. Eine andere azoreanische Geschichte erzählt von Orangenbaronen, zahllosen Plantagen und einem Orangenhype im 18. Jahrhundert, dem ein Pilz ein jähes Ende setzte. Die Azoreaner hatten den Priolo, einen einheimischen Gimpel, für das Orangensterben verantwortlich gemacht und ihn ausgerottet. Heute wird der Priolo, der in Lorbeerwäldern lebt, so geschützt wie sein Habitat …
Fumorolen, Cozido, Tee und mehr
Für uns Besucher sind die Inseln vorrangig einmal nur wunderbar grün und vulkanisch schwarz mit wundervollen bunten Städten und Dörfern. Alle Inseln sind vulkanischen Ursprungs und die starken vulkanischen Aktivitäten formen die Inseln immer noch und schreiben sich tief in die Landschaft und das Gedächtnis der Menschen. In Ponta Delgada, der Kapitale der Azoren, sind Straßen und Gehwege mit dem schwarz-weißen Basaltstein gepflastert, in wunderbaren geometrischen, floralen, mäandernden Mustern. Die enorme Kraft der Vulkane ist überall spürbar, bei Steinformationen, riesigen Calderas, heißen Quellen, Fumarolen, Schlammtöpfen und vulkanischen Meeresbecken, die an vielen Orten gefahrloses Baden im Atlantik ermöglichen. Das ist eines der größten Erlebnisse, die man immer auch mit den Azoreanern teilen kann. Vor und in den Becken ergeben sich kleine Gespräche und die belustigten Blicke der Menschen sprechen Bände … Noch eine Besonderheit in São Miguel ist der Cozido, eine in der Hitze eines dampfenden Fumarolenfeldes gegarte Speise. Der Eintopf aus Kohl, Fleischarten, exotisch gewürzten Blutwürsten gart in einem Schacht in der Erde für Stunden – auf Vorbestellung. Zum vereinbarten Zeitpunkt wird der Topf herausgeholt, wir sind dabei, uh, sehr heiß!, und dann im Wirtshaus serviert.
Noch eine Köstlichkeit hält São Miguel bereit: Eine der letzten Teeplantagen Europas. Nach dem Orangenanbau nützte man das Land für Teeanbau, riesige Teefelder überzogen die Insel. Heute dürfen wir in Chá Gorreana durch die letzten Teegärten Europas flanieren und die Herstellung von grünem, weißem und Schwarzem Tee mit uralten Maschinen und in Handarbeit bewundern, eine echte Rarität. Mit vielen Teepäckchen bereichert fliegen wir auf die nächste Insel, Terceira, flanieren durch die Renaissancestadt Angra do Heróismo, bewundern die geschmiedeten Balkongitter, die farbenprächtigen Häuser, die manifeste Geschichte, immerhin war Angra eine zeitlang die Hauptstadt ganz Portugals! Terceira hält eine weitere Überraschung bereit, den Abstieg in die Lavahöhle Algar do Carvão, die 2000 Jahre alte Höhle ist eine kleine geologische Exkursion 100 m in die Tiefe. Bretter und befestigte Wege leiten uns danach im dampfenden schwefeligen Fumarolenfeld Furna de Enxofre, da und dort leuchten blaue Beeren an riesigen Stauden - sind genießbar? - die dunkelblauen Azoren-Heidelbeeren erweisen sich als willkommene und sehr schmackhafte Vitaminspender.
São Jorge, Faial, Pico
Im Flug geht es zur Dracheninsel São Jorge - wir wandern zu den abseits am Meer gelegenen Fajas, über den Kamm der schmalen Insel, treiben in den vulkanischen Meerbecken und lassen uns den speziellen Käse dieser Insel schmecken. Und Thunfisch, den es überall auf den Azoren gibt. Mit der Fähre geht es unter dem dämmernden Nachthimmel auf die Insel Faial, in den Hauptort Horta, Seglerparadies und legendärer Zwischenstopp für Atlantiküberquerungen. Auf Faial wird der Vulkanismus wieder deutlich sichtbar: Auf einem schmalen Fußweg umrunden wir eine riesige 400 m tiefe Caldera und später erwandern wir eine Vulkan-Aschenlandschaft, die erst vor mehr als 60 Jahren durch einen Vulkanausbruch gebildet wurde: eine Mondlandschaft aus ockerfarbenem Sand, schwarzer Lava und dunkelblauem Meer, die Halbinsel Ponta dos Capelinhos. Ein Museum zeigt die verheerende Naturkraft, die zahlreiche Menschenleben kostete und viele Menschen ins Exil trieb. Im legendären Peter Café Sport nehmen wir bei einem Gin Tonic Abschied von Faial und reisen weiter mit der Fähre auf die Insel Pico. Der wunderschöne Vulkankegel Pico, einer der höchsten Vulkane Europas, 2.351 m, ein Schichtvulkan, hat uns schon auf Faial mit seinem Anblick verzaubert. Am Morgen lüftete er den Schleier, der ihn fast zu jeder Tageszeit umweht, und zeigte sich in seiner ganzen Pracht. Wenn man den Pico besteigen will – und das ist keine große Sache, stabile Wetterverhältnisse vorausgesetzt – muss man sich beim Observatorium auf 1000 m Seehöhe registrieren, damit man bei einfallendem Nebel nicht verloren geht. Wir verzichten auf den Aufstieg, da hätten wir früher aufstehen müssen und begnügen uns mit einer Fahrt zum Observatorium, genießen die Aussicht auf die Küste, auf die punktförmigen Dörfer. Auf Pico lösen wir auch - trotz des nicht so stabilen Wetters - die Walbeobachtungstour ein. Unwetter, das Boot schaukelt wie eine Nussschale, ich hänge über der Reling, als alle aufschreien, dass sie Wale gesehen hätten. Aus den Augenwinkeln sehe ich zwei Sprühfontänen, weit weg … Die hochauflösende Kamera wird später die beiden Wale bezeugen, deutlich sieht man ihre voluminösen Körper aus dem Wasser tauchen. Vom längst verbotenen Walfang zeugen einige Museen auf den Inseln, besonders gut aufbereitet ist das Museum im kleinen Ort Lajes. 1987 wurde auf den Azoren der letzte Pottwal gefangen, auf die gleiche traditionelle Art und Weise wie zu Zeiten Moby Dicks, mit Segelboot, Handharpune und Lanze. Ein Film vermittelt anschaulich den traditionellen gemeinschaftlichen Walfang der Männer im Dorf, frei nach dem Dichter Almeida Firmino "Namenlose Helden, ein Fuß an Land, der andere noch auf dem Meer". Beeindruckt vom Museum, berührt über die Walsichtung wandern wir durch das UNESCO Welterbe in Criação Velha. Uralt ist in dieser Gegend die Art des Weinbaus: inmitten von schwarzen kleinen Vulkansteinparzellen grünen Weinreben mit kleinen, süßen Früchten, reifen Feigen. Die Reblaus hat wie bei uns in Österreich dem Weinanbau den Garaus gemacht. Erst seit ein paar Jahrzehnten wird der Weinbau wieder erfolgreich forciert …
So viele Eindrücke schenken 5 Inseln in 10 Tagen. Was noch zu den Azoren gehört: Wundervolle Parks und Gartenanlagen mit exotischen Baumriesen, die fantastisch sperrigen Drachenbäume, herrliche Atlantikstrände, viele schöne (kaum frequentierte) Wanderwege, fangfrischer Fisch, Käse, süße Ananasfrüchte, die leider bei uns nicht zu bekommen sind, sondern nur in ausgewählten englischen und deutschen Gourmetläden, süße Germteigfladen – Bolos, wohltemperiertes Wetter, da und dort ein kleiner Regenschauer, gemächlich heitere Lebensart, blutrot gestrichene Türen und Tore, Windräder, die holländische Spuren verraten … und natürlich die Anreise über Lissabon, die einen Besuch bei Pessoa ermöglicht, eine Fahrt mit der alten Tramlinie 28 und einen Spaziergang durch die lebendige Altstadt …
Und wie ist das mit den Habichten? Diese findet man leider nicht auf den Azoren. Die ersten Siedler hielten die Bussarde für Habichte, der Name passt trotzdem!