Frankreichs bildschöner Westen
Monet in Giverny
Ein Meer prachtvoll blühender Blumen umgibt vom Frühling bis zum Herbst die elegante Villa in Giverny, die Claude Monet seit 1883 mit seiner Familie nutzte. Sie sollte sein Refugium, sein künstlerischer Mittelpunkt, seine Inspiration für die letzten 35 Jahre seines Lebens werden. Im ersten Ziergarten – dem clos normand, den er voller Überschwang selbst plante, ließ er farbenprächtige Rabatten anlegen, die er in zahlreichen Gemälden verewigte. 1893 erwarb Monet ein Nachbargrundstück, wo im Laufe der folgenden Jahre der Wassergarten (jardin d’eau) mit dem weltberühmten Seerosenteich und der japanischen Brücke entstand. Monet hatte schon 6 Gärtner eingestellt, heute kümmern sich 12 Spezialisten um den Erhalt dieser einzigartigen Gartenoase, die jeden Besucher beglückt.
Rouen
Wir reisen von Giverny nach Rouen, der Hauptstadt der Normandie, so wie unzählige Male Monet zwischen 1892 und 1894. Sein künstlerischer Sehnsuchtspunkt war die mächtige gotische Kathedrale mit ihrem feingliedrigen Portalvorbau. Über 3 Jahre entstand eine Serie von 33 Gemälden mit den fantastischsten Lichtstimmungen – ein Motiv mit unterschiedlichen Farbnuancen war definitiv nicht erst eine Erfindung von Warhol! Zahlreiche Häuserblocks in der Altstadt stammen aus dem Spätmittelalter und der Renaissance, als Rouen mit seinem regen Hafen an der Seine zu den europäischen Großstädten zählte. Farbenprächtige Fachwerkhäuser (bei weitem nicht nur ochsenblutrot, sondern in frischem Grün, hellem Blau, strahlendem Gelb ...), gotische Kirchen, der schöne Uhrturm bestimmen das schon von Victor Hugo gepriesene Vieux Rouen als „Stadt der hundert Kirchtürme“.
Kreidefelsen von Étretat
Ca. 90 km westlich der Hauptstadt erheben sich die schönsten Klippen der Normandie an der Küste des Ärmelkanals. Zwischen 70 und 85 m hoch ragen die weißen Felswände und Naturbögen aus Kreide und Feuerstein hier an der Alabasterküste auf. Der Badeort mit seinem Kiesstrand, der Maler wie Turner oder Monet anzog, wird an beiden Seiten von den Klippen flankiert, die man auf wunderschönen Kurzwanderungen erreichen kann – die Ausblicke sind gigantisch!
Honfleur und Calvados
Über die mehr als 200 m hohe Pont de Normandie erreichen wir das Südufer des Mündungstrichters der Seine und den bezaubernden Ort Honfleur. Sein altes Hafenbecken mit zahlreichen Booten und Fachwerkhäusern gilt als eines der schönsten Fotomotive der Normandie.
Der Name des Département Calvados bestimmt den nächsten Programmpunkt: Seit Mitte des 16. Jh. wird in dieser Ecke der Normandie Apfelbrand destilliert – Eau de Vie de Sydre/Cidre, erst Mitte des 20. Jahrhunderts bekam das Destillat den Namen der Region.
Mathildas wunderbare Stickereien
Nahe der D-Day Landungsküste der Alliierten liegt die schöne mittelalterliche Stadt Bayeux, die von den Normannen errichtet wurde (und Gott sei Dank in den Weltkriegen nicht zerstört wurde). Die großen Schätze des Ortes sind die normannische Kathedrale aus dem 11. Jh. sowie ein gut 68 m langer, einzigartig bestickter Bildteppich aus dem Jahr 1070. In ungemein detaillierten Bildern und Szenen schildert der Teppich der Königin Mathilda die Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer – die Schlacht von Hastings im Jahr 1066. Es ist eines der kostbarsten Bilddenkmäler des Hochmittelalters – ob es allerdings in Südengland oder in Frankreich entstand, kann nicht eindeutig nachgewiesen werden. Der Bildteppich mit seinen hunderten Menschen-, Natur- und Kriegstechnik-Darstellungen ist dank seines Detailreichtums eine schier unerschöpfliche Quelle für die Wissenschaft.
Le Mont-Saint-Michel – das Wunder des Abendlandes
Niemand kann sich dem atemberaubend schönen Anblick des Mont-Saint-Michel entziehen, ob Morgennebel durchziehen oder die schöne Wattlandschaft rings um die Insel in schönstes Sonnenlicht getaucht ist, ob das Abendrot die Felsen in ein magisches Fotomotiv verwandelt oder durch den hohen Tidenhub der Klosterberg wieder zu einer Insel wird. In den letzten Jahrzehnten hat man mehr als 200 Mio Euro eingesetzt, um die natürliche Schönheit – inmitten eines der schönsten Wattgebiete Europas – rings um die Insel wieder herzustellen; u.a. wurde nach Plänen des österreichischen Architekten Dietmar Feichtinger eine Stelzenbrücke zur Felseninsel gebaut.
Seit dem 8. Jh. zieht der Berg des Hl. Michael an der Grenze von Normandie und Bretagne Pilgerströme an. Um 965 entstand ein erstes Benediktinerkloster, das in den folgenden Jahrhunderten über viele Etagen in die Höhe wuchs, riesige Säle und sogar einen prachtvollen Kreuzgang mit Blick über das Watt aufweist. Auch wenn es in der Hauptstraße staut, der Ausblick von Kirche und Kreuzgang ist magisch schön.
Saint-Malo, die Stadt der Seefahrer und Korsaren
Wie ein Bollwerk schiebt sich die Stadtanlage von Saint-Malo ins Meer hinaus – gewaltige Festungsmauern beschützen die Stadt, die zwischen dem 16. und 19. Jh. eine prosperierende Handelsstadt war. Dass der Reichtum auch auf den Kaperzügen der Korsaren der Stadt beruhte, ist ein eigenes Kapitel. Die Festungsmauer gehört zu den bevorzugten Touristenattraktionen – einer der schönsten Spazierwege der Stadt führt auf der Mauer rings um die Stadt herum und gibt viele schöne Ausblicke auf vorgelagerte Strände und Inseln, auf die idyllische Nachbarstadt Dinard, aber auch ins Herz von Intra-Muros, wie die Altstadt von Saint-Malo auch genannt wird. Hier finden wir die Reederhäuser der Hafenstadt, lauschige Gassen sowie die Kathedrale mit ihren schönen Glasfenstern.
Rosa Granitküste
Nur wenig nördlich und nordwestlich der Stadt Tréguier beginnt eine der Küstenwunderwelten der Bretagne: Je nach Sonneneinstrahlung blicken wir von Zartrosa bis zu einem dunklen Ocker, das die grandiosen Felsengebilde und -türme hier bestimmt. Vor allem bei unserer Wanderung auf dem Pfad der Zöllner Richtung Ploumanac’h regen diese Steinformationen unsere Fantasie an, wie versteinerte Fabelwesen türmen sich die mehr als 300 Mio. Jahre alten Steinkolosse meterhoch neben herrlichen Sandstränden auf.
Kalvarienberge inmitten umfriedeter Pfarrbezirke: Glaubenszeugen aus Granit
Unsere Reise war schon bis jetzt reich an UNESCO-Weltkulturerbe – im Pays de Léon, der Region um Guimiliau und Saint-Thégonnec, fügen wir ein weiteres dazu. Die Dörfer und Städte im äußersten Nordwesten der Bretagne waren dank Handel, Schifffahrt und vor allem Tuchherstellung um die Mitte des 15. Jh. zu ansehnlichem Reichtum gekommen. Dafür Gott zu danken war Pflicht einer jeden frommen Gemeinde – wie sich dieser Gottesdank zu einem richtigen Wettstreit um den schönsten „calvaire“ entwickelte, können wir hier besonders schön sehen. Mit dem Jahr 1450 beginnt man mit dem Bau der ersten enclos paroissiaux, umfriedeten Pfarrbezirken. Viele Orte im Nordwesten wurden mit herrlichen Triumphtoren, prachtvollen Kirchen und den einzigartigen granitenen Kalvarienbergen ausgestattet.
7000 Jahre zurück in der Geschichte Europas
In der Nähe der Stadt Vannes öffnet sich ein großartiges Fenster in die europäische Frühgeschichte. Über mehr als 4 km Länge ziehen sich bei Carnac sogenannte Alignements – Steinreihen von Megalithen, die allein im Bereich von Ménec und Kermario mehr als 3000 Menhire aufweisen. Wir stehen überwältigt vor fast schnurgeraden Stein-Ansammlungen, die zu den größten megalithischen Anlagen weltweit zählen. Und trotz zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen geben sie ihre letzten Rätsel nicht preis – waren es Begräbnisstätten, religiöse Kultstätten, überdimensionale astronomische Messgeräte? Wir wissen es leider bis heute nicht. Wir wissen nur, dass sie zwischen 5000 und 3000 v. Chr. entstanden sind.
Unzählige weitere Höhepunkte füllen die Reise – die schönen alten Städte Dinan und Quimper, die Küsten des Naturparks Armorique mit der windumtosten Pointe de Pen-Hir und das wiederaufgebaute Le Havre. Wir verkosten herrliche Austern in Cancale und genießen die Meeresbrise an den wohl schönsten Küsten im Westen Frankreichs.
Elisabeth Kneissl-Neumayer