"Inseln der Glückseligen" wurden die Inseln Makaronesiens schon in der Antike genannt. Das Klima ist das ganze Jahr über angenehm, die Landschaft vielfältig – vom Regenwald bis zur Wüste – und die Strände sind wunderschön.
Auf der großen, fast endlosen Fläche des Ozeans zwischen Amerika und Afrika scheinen diese Inseln, zu denen die Azoren, die Kapverden, Madeira und eben auch die Kanaren gehören, wie vernarbte Wunden des Meeres - und sie sind genau das. Ausgelöst von plattentektonischen Prozessen haben sich gewaltige untermeerische Vulkane gebildet, die schließlich die Meeresoberfläche durchstoßen und verletzt haben und es scheint, als würde der Atlantik mit seinen Mitteln versuchen, sich das Land zurückzuholen. An der Südwestküste Lanzarotes etwa: als schlüge ein Meeresungeheuer seine Pranken aufs Land, so bricht sich die Dünung an der Küste, schlagen die Wellen ein ums andere Mal auf die Felsen, schleudern sie ihre Gischt in die Luft und rennen wieder an, Stunde um Stunde, Tag um Tag, Jahr um Jahr, Jahrhundert um Jahrhundert… ohne Unterlass, bis ans Ende der Tage…. Einer der zahllosen besonderen Orte auf den Inseln, wo sich die Essenzen der griechischen Philosophie manifestieren und miteinander ringen: Erde, Wasser, Luft und Feuer – letzteres eigentlich das Prinzip des glühend verzehrenden, ist hier gleichzeitig der Ursprung der Inseln.
Wie nähern wir uns als Touristen diesen vielfältigen Inseln an? Vielleicht lesen wir, was einheimische Schriftsteller über sie geschrieben haben, nehmen Teil an deren Blick von innen: Das Meer, uns begeistert es, von den Inselbewohnern wird es geliebt und gehasst, bewundert und gefürchtet, aber niemanden lässt es gleichgültig. Ángel Guerra beschreibt dies in seinem Roman La Lapa: Man liebt das Meer bis zum Wahnsinn, mit tiefer Leidenschaft, wie man eine Frau liebt: Oh, die Liebe ist wie das Meerwasser. Sie macht uns Durst, und später, salzig, löscht sie ihn nicht. Sie schmeckt bitter, als ernähre sie sich einzig von Tränen…. Oder Félix Hormiga, ein Literat aus Arrecife: Das Meer ist Geliebte, sagen die, die vor Liebe verrückt sind. Unser Meer war Salz, Beklemmung und Qual. Seeleute, geboren im Zeichen des Elends, geschaukelt in Booten, wie geschaffen für den Schiffbruch, Generation um Generation, wiegten ihre Alpträume mit dem Lied einer immensen, unbeständigen Mutter …
Die außergewöhnliche Landschaft Lanzarotes, die der Autor Rafael Arozarena in seinem Roman „Mararía“ kraftvoll mit seinen Worten nachbaut, bildet die perfekte Kulisse für ein tragisches Drama aus zeitlosen menschlichen Leidenschaften: Verzweiflung und Einsamkeit und die nicht endende Sehnsucht nach Glück und Liebe.
Ein Fremder kommt in ein abgelegenes Dorf auf Lanzarote. Beim gemeinsamen Wein mit den Männern des Ortes hört er das erste Mal von Mararía, der Hexe. Seine Neugier ist geweckt. Was verbirgt sich hinter der schwarz verschleierten Alten, die wie ein Geist durchs Dorf huscht und über die jeder etwas anderes zu erzählen hat? Er beginnt zu fragen und zuzuhören und vor uns entfaltet sich nach und nach die ganze Geschichte. Lanzarote, in den vortouristischen fünfziger Jahren. Es ist eine archaische längst vergangene Welt. Das Leben der Einheimischen ist geprägt von Entbehrungen und harter Arbeit. Man ernährt sich von der kargen Landwirtschaft oder der Seefahrt. Der Kreis, in dem man sich beweg, ist eng, man lebt abgeschieden von der Welt, ist aufeinander angewiesen, man kennt sich, hasst sich, streitet sich und hält zusammen. In diesem engen Kosmos lebt die schöne Mararía mit ihrer Tante. Kein Mann im Ort, der sie nicht begehrt, kein junger Mann, der sie nicht gerne zur Frau hätte. Doch die Schöne entzieht sich den Männern ihres Dorfes, denn ihre Wahl fällt auf einen Fremden. Aus Begehren wird Hass und Mord. Mararía ist eine traurige Geschichte. Mit großer Kraft erzählt, unsentimental und darum umso berührender.
Michel Houellebecq hat 2006 in seinem Roman „Lanzarote“ einen gelangweilten, uninteressierten Touristen auf die Insel geschickt…. die Insel lebt von dieser Spezies Mensch, die bevorzugt in Rudeln auftreten. Der Tourismus trägt 90% der Wirtschaft der Insel, es ist eine Art Monokultur und mit Monokulturen hat Lanzarote wenig gute Erfahrungen: der Export von Meersalz ist zusammengebrochen ebenso wie die mühsame, aber lukrative Ernte der Koschenillelaus, aus der früher der Farbstoff Karmesinrot gewonnen wurde, einigen Lanzaroteños viel Geld einbrachte. Nun also Touristen (zu denen natürlich auch wir gehören, wenn auch nicht dem üblichen Verhaltensschema entsprechend, wie wir hoffen). Auf 40.000 Betten Obergrenze versuchte seinerzeit der berühmte Inselkünstler César Manrique den Ansturm der Fremden zu begrenzen, heute sind es 200.000 Betten. Trotzdem hat Manrique, der die Insel zu einem Gesamtkunstwerk umgestalten wollte, die Insel geprägt: noch heute gibt es (bis auf eine Ausnahme) weder Hochhäuser auf der Insel noch Werbeplakate an den Straßen. Die natürliche Schönheit dieser Vulkaninsel sollte eine perfekte Symbiose eingehen mit den Schöpfungen der Menschen, mit der Kunst, mit der Architektur. „Wir hatten es fast geschafft, und jetzt kommen diese Geier, diese Spekulanten ohne jede Moral. Sie wollen uns alles stehlen, sie haben nur das Ziel, ganz schnell reich zu werden. Sie bauen uns hier billige Massenbungalows hin, miese Hotels und Appartementhäuser, deren Wände zum Teil aus Pappe und Draht bestehen. Sie verschandeln die Landschaft, zerstören die Dörfer“ - so der Meister in einem Interview im SPIEGEL.
Der Tourismus ist eine transformative Kraft, die vieles nimmt. Und andererseits: sie gewährt den Inseln eine Ökonomie, eine Ökonomie des Möglichen.
Solche weltbekannten touristischen Anlaufstellen wie die Gesamtkunstwerke Manriques gibt es auf Fuerteventura weniger. Wer hierher kommt, muss hauptsächlich mit der Natur vorliebnehmen. Die allerdings hat viel zu bieten: Es sind vor allem die endlos langen Strände, die uns anlocken. Als älteste aller Kanareninseln zeigt Fuerteventura ein „fossiles“ Gesicht, weil jüngere Vulkantätigkeit ausgeblieben ist. Vulkanische Gebirge sind bereits stark erodiert, uraltes Tiefengestein findet sich neben oft schon eingeebneten Vulkankegeln, an denen sich Sanddünen ablagern, die aber nur zu einem geringen Teil aus der nahen Sahara von Passatwinden hierher verfrachtet wurden, sondern zum weitaus größten Teil aus fein zermahlenen Muschel- und Schneckenschalen bestehen.
Historische Aufzeichnungen belegen, dass Fuerteventura einst eine blühende Insel war. Wassermangel, Raubbau an den Wäldern und Überweidung durch Ziegen degradierten sie zur „Wüsteninsel“, auf der sich Dattelpalmen, Kandelaberwolfsmilch und Feigenkakteen standhaft gegen die Widrigkeiten der Natur stemmen.
Unterschiedlich wird der Inselname gedeutet. Ein ständig wehender Passatwind unterstützt die Deutung als „heftig wehender Wind“. Andere Wissenschaftler neigen eher zur Glückstheorie und übersetzen „ventura“ mit „Glück“. Ins Reich der Legenden gehört wahrscheinlich der Ausruf des Inseleroberers Béthencourt bei seiner Landung 1404 auf Fuerteventura: „Que fuerte ventura“ („Welch großes Abenteuer“), wobei er vielleicht an seinen Eroberungs-Fehlversuch wenige Jahre zuvor dachte. Aber was wären die Inseln der Glückseligen ohne ihre Legenden? Und welch großes Abenteuer wartet auf uns?