„Weit ist dieses Land, wollen wir es beschreiben, so zuerst die Hügel, die kleinen Flüsse, denen der Himmel einmal spärlich, einmal reichlich gibt. […]
Die gepflügte Erde ist rot und violett, das Land leicht gewellt und in strenger Ordnung stehen nur die silbrig glänzenden Olivenbäume, grüngrau ist das Gewölk der zahllosen Korkeichen, die wie grüne Kathedralen ihre Äste dem Himmel entgegenstrecken und der Landschaft Schatten spenden.“ (José Saramago, „Hoffnung im Alentejo“)
DIE SEELE VON PORTUGAL
Die „Seele des Landes“ wird der Alentejo, der Südosten Portugals genannt. Die Landschaft und die Jahreszeiten bestimmen hier bis heute den Rhythmus des Lebens und wie es scheint, sind Raum und Zeit hier anders kalibriert. Miguel Torga rät dazu, sich auf das Erlebnis Alentejo einzulassen: „Wer auf das Meer hinausfährt, muss sich an Land vorbereiten […] wer den Alentejo besucht, muss auf beschränkte Horizonte verzichten und den Maßstab der gewöhnlichen Umsicht ausdehnen. Jetzt ist die Entfernung endlos, und die Sterne in der Höhe strahlen mit tropischem Glanz. Darum müssen wir Rhythmus und Gesichtsfeld ändern“. Derart eingestellt, ist eine Reise in den Alentejo ein außergewöhnliches Erlebnis, besonders in der heute hektischen Welt und Zeit.
KORK- UND STEINEICHEN
Massentourismus ist hier ein Fremdwort. Der Alentejo gehört noch seinen Bewohnern, andere Reisegruppen sieht man kaum, noch dazu, wenn man das Land wandernd erlebt. Warum gibt es hier eigentlich so wenige Besucher? Niemand weiß das genau, weil der Südosten Portugals tatsächlich eine Region mit Geschichte, Charakter und Eigenart ist. Jahrhundertelang verlief hier eine Grenze zwischen dem muslimisch geprägten Süden und dem christlich geprägten Norden des Landes. So entstand – in einem umkämpften Raum – nicht nur eine interessante Kulturmischung, sondern auch eine besondere Naturlandschaft: der Montado, locker gepflanzte Kork- und Steineichen, die eine hügelige Weidelandschaft beschatten und eine gemischte extensive Bewirtschaftung ermöglichten. Die „Serengeti Europas“ wird der Alentejo deswegen auch manchmal genannt, doch diese Region ist schon anders und nicht mit einer Steppenlandschaft vergleichbar. Blickt man über die Hügel nördlich der Serra d’Ossa, zeigt sich eine tiefgrüne Landschaft - die weit ausladenden Äste der Korkeichen umhüllen sanft gewellte Weiden und spenden Pflanzen und Tieren Schatten. Die Korkeiche ist der streng geschützte und gehütete Nationalbaum, ein immergrünes Hartlaubgewächs und Heimat für eine Unzahl von Singvögeln, die hier ganzjährig leben und spezifische Ausprägungen (Färbung des Federkleides) entwickelt haben.
LÄNDLICHE IDYLLE
Apropos Eigenart und Kulturraum: der Alentejo ist ländlich-bäuerlich geprägt. Große Städte gibt es hier nicht, aber kleine (zumeist weiße) Dörfer, Burgen (ehemalige Fluchtburgen in einem Grenzland) und Kapellen, die auf den vielen Hügeln thronen und von der Geschichte und Volksfrömmigkeit der Menschen zeugen. Katholizismus und Kommunismus vermischen sich hier symbiotisch. Am Sonntag ist der Messbesuch ein Fixpunkt bei den Menschen, zugleich wählt man aber links und nicht selten auch kommunistisch. Noch vor 50 Jahren war der Alentejo nämlich das Land der Landarbeiter und der Latifundien. Die portugiesische Nelkenrevolution vom April 1974 hat Bewegung in die Besitzverhältnisse gebracht. Die großen Landgüter wurden zum Teil zerschlagen und durch Kooperativen ersetzt. Das portugiesische Freiheitslied („Grândola, Vila Morena“), das die Nelkenrevolution in eine Volksbewegung verwandelt hat, bezieht sich auf eine Stadt im Alentejo. Der Hintergrundchor dieses Liedes ist ein Cante Alentejano, die typische Musik der Region, ein polyphoner Chorgesang, der an die gemeinsame Feldarbeit der Landarbeiter erinnert, heute ein immaterielles UNESCO-Weltkulturerbe.
"WANDERN IM ALENTEJO"
Zum ersten Mal bot Kneissl Touristik 2023 die Reise „Wandern im Alentejo“ an. Viele aufmerksame Leser unserer Kataloge und Programme haben damals nicht so recht gewusst, wo diese Reise genau hinführt und was sie vor Ort erwartet. Wanderer treffen im Alentejo auf eine hügelige und uralte Kulturlandschaft mit tief eingeschnittenen Flusstälern im Landesinneren und die weitgehend unberührte Vinzentinische Küste im Westen. Und Wanderer erwartet die Einsamkeit, denn mit Ausnahme unserer Reisegruppe sind kaum Menschen auf den gut ausgebauten Pfaden unterwegs, weil Portugiesen kaum wandern und der Alentejo noch immer ein Geheimtipp ist. Wir starten im Naturpark der Serra de São Mamede, an der Grenze zu Spanien. Eine Granitkegellandschaft mit bizarren Höhenrücken, bezaubernden „Bergdörfern“ und unvergesslichen Ausblicken begeistert uns. Hoch über dem Tejo-Durchbruch bei Portas de Ródão, ist der Anblick der über dem Flusstal kreisenden Gänsegeier ein besonderes Erlebnis. Eindrücklich ist auch die Wanderung entlang des Aquädukts von Évora: Im 16. Jahrhundert wurde diese fast 10 km lange Wasserleitung errichtet, um die Bevölkerung der Stadt mit Trinkwasser zu versorgen. Heute ist dieses Meisterwerk der Ingenieursbaukunst nicht mehr in Funktion, sondern wurde von der Landschaft gewissermaßen „verschluckt“, es lässt sich jedoch als Wanderweg entdecken. An einem anderen Tag der Reise besuchen wir den Naturpark Vale do Guadiana, angeblich noch Refugium des Iberischen Luchses. Der Guadiana, drittlängster Fluss des Landes, zwängt sich mühsam durch eine Schieferdecke und bildet nördlich von Mértola eine außergewöhnliche „Wasserfall-Landschaft“, die wir auf der Reise erwandern.
MÉRTOLA UND COSTA VICENTINA
Auch ein Besuch von Mértola steht am Programm - die kleine Burgstadt weist noch muslimische Baureste auf. Hier residierte Mitte des 12. Jahrhunderts für kurze Zeit Ibn Qasi (gest. 1151), ein berühmter Sufi-Mystiker der Iberischen Halbinsel. Unweit seiner Statue vor der Festung steht die Igreja-Mesquita, eine ehemalige Moschee, die ohne große Umbauten in eine Kirche verwandelt wurde und noch einige Attribute der Moschee aufweist. Eine gemütliche Bootsfahrt am Guadiana beschert eines der schönsten Fotomotive des Alentejo: die weiße Stadt Mértola, gespiegelt im Flusswasser. Der vorletzte Reisetag führt an die Atlantikküste, die sogenannte Costa Vicentina, ebenso ein Naturpark. Dieser Küstenabschnitt zählt zu den schönsten und besterhaltenen Steilküstenregionen Europas. Die grandiosen Klippen schließen Sandbuchten mit wenig besuchten Stränden ein. Die Natur ist in weiten Abschnitten noch unberührt. Die Nordwestwinde in Kombination mit der Meeresströmung verleihen dem Küstenabschnitt einen wilden und urwüchsigen Charakter. Der Blick in die Wellenlandschaft, die sich an den Sandstränden spektakulär formt, ist wohl unvergesslich.
Dr. Franz Halbartschlager